Straßensozialarbeit in Berlin

„Die Stadt, in der man zuerst ankommt, die wird man immer lieben.“ – Interview ║ Teil 3

Ein Gespräch über Flucht und Zukunft

Frankfurt → Berlin

Bei seiner Flucht aus Afghanistan gelangt Mushtaba über die Westbalkanroute bis nach Ungarn. Ein Mann fährt ihn und weitere Geflüchtete gegen Geld über die Grenze nach Österreich und weiter nach Deutschland. In München lässt der Mann die Gruppe aussteigen. Mushtaba fährt nach Frankfurt weiter, in die Nähe seines Onkels .

 

Mushtaba: In Frankfurt angekommen ging ich gleich zu zwei Polizisten. Ich hatte unterwegs ein paar Worte Englisch gelernt und sagte zu ihnen: „Ich bin Flüchtling. Ich habe keine Papiere. Ich möchte in Deutschland bleiben.“ Die Polizei hielt mich zwei Tage lang fest und brachte mich dann in ein Hotel für Jugendliche.
Dort angekommen habe ich meinen Onkel angerufen. Er ist gekommen, um mich zu begrüßen und hat mir angeboten, bei ihm zu wohnen. Aber ich wollte ihn und seine Familie nicht stören, blieb im Hotel und besuchte ihn stattdessen manchmal. Im Hotel habe ich sechs Monate gewohnt. Später bin ich dann nach Offenbach gezogen.

Maryam und ich waren bis Frankfurt immer zusammen gewesen. Aber als sie ihren Asylantrag stellte, wurde sie nach Fulda geschickt. Wir haben den Kontakt bis heute gehalten. Manchmal fahre ich sie besuchen und bleibe ein paar Tage bei ihr. Sie hat inzwischen einen Sohn zur Welt gebracht.

 

Gangway: Wie war die Zeit in Frankfurt?

Musthaba: Frankfurt war super! Ich habe in den eineinhalb Jahren viele Freunde gefunden. Auch die Sozialarbeiter*innen waren nett! Frankfurt war meine erste Stadt in Deutschland. Ich habe sehr viel gelernt. Weißt du, die Stadt, in der man zuerst ankommt, die wird man immer lieben.

 

Gangway: Konntest du in Frankfurt dann endlich zur Schule gehen?

Mushtaba: Leider nicht. Ich habe nur einen Deutschkurs besucht. Meine Betreuerin hat mich für die Schule angemeldet. Wir haben eineinhalb Jahre gewartet, aber ich konnte immer nur einzelne Deutschkurse besuchen. Alles, was ich gelernt hatte, habe ich während der vielen Pausen zwischen den einzelnen Kursen wieder vergessen. Erst in Berlin konnte ich dann endlich zur Schule gehen.

Meine Eltern sind später aus dem Iran in die Türkei gereist. Zu diesem Zeitpunkt hatte meine Tante bereits ebenfalls ihre Flucht nach Europa fortgesetzt. Ihre Kinder, die nicht mitgekommen waren, reisten nun gemeinsam mit meinen Eltern in Richtung Deutschland. 2016 sind meine Eltern dann in Berlin angekommen. Ich wollte eigentlich, dass sie zu mir nach Frankfurt kommen, aber das hat leider nicht geklappt und das Jugendamt hat mich stattdessen nach Berlin geschickt.

Ich habe mich natürlich total gefreut, endlich wieder zusammen mit meinen Eltern zu sein. Aber ich war auch traurig, meine Freunde verlassen zu müssen. Sie sind alle gekommen, um mich zu verabschieden. Schon nach einem Monat bin ich wieder nach Frankfurt gefahren, um meine Freunde zu besuchen. Ich habe bis heute Kontakt zu ihnen und besuche sie manchmal.

In Berlin habe ich zunächst die Willkommensklasse besucht. Nach einem halben Jahr hat mein Lehrer dann gesagt: „Du bist sehr gut, Mushtaba. Du kannst auch die BQ-Klasse besuchen.“ „Klar!“, hab ich gesagt und die Klasse gewechselt. Letztes Jahr habe ich meinen EBBR gemacht!

Danach habe ich mehrere Praktika als Kfz-Mechatroniker gemacht. Ich möchte gerne als Kfz- Mechatroniker arbeiten und suche eigentlich eine Ausbildungsstelle. Aber mein Deutsch ist nicht gut genug. Deswegen mache ich jetzt erstmal einen B2-Deutschkurs.

 

Gangway: Möchtest du in Berlin bleiben?

Mushtaba: Ja. Ich habe auch hier viele Freunde gefunden. Und viele nette Sozialarbeiterinnen!! (Mushtaba lacht) – Warum also jetzt wieder nach Frankfurt gehen?!

 

Gangway: Wenn du jetzt auf deinen langen Fluchtweg zurückblickst, was denkst du?

 

Mushtaba: Ich frage mich manchmal, warum ich die Dinge so und nicht anders gemacht habe. Warum ich die Zeit nicht besser genutzt habe. Ich hätte mehr Deutsch lernen oder früher in einen Fußballverein eintreten können. Mein Traum ist es, professionell Fußball zu spielen. Ich hätte viel früher anfangen sollen, dafür zu trainieren.

Außerdem: wenn ich gewusst hätte, wie gefährlich es werden würde, ich wäre nicht aufgebrochen. Ich bin sicher, niemand würde jemals aufbrechen.

Aber: Man muss immer an die Zukunft denken. Früher ist vorbei, daran kann man nichts mehr ändern!

 

+++Ende+++

Zum Nachlesen: Interview Teil 1 und Teil 2.