Vorgestern, am Montag den 7.11.2023, fand der von mancher Seite langersehnte Migrationsgipfel zwischen Bund und Ländern statt. Dazu kamen der Bundeskanzler und die Ministerpräsident:innen der Länder zusammen, um das Thema zu besprechen, das den medialen und den politischen Diskurs beherrscht: die Migrationspolitik.

Was hatten die Länder gefordert?

An erster Stelle wurde von den Ländern mehr Geld für die Versorgung von Geflüchteten gefordert. Die Länder argumentieren, dass sie in diesem Jahr für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen 23 Milliarden Euro aufzubringen hätten. Der Bund beteilige sich aber nur 3,7 Milliarden Euro und wolle seinen Anteil zukünftig noch verringern – auf dem Hintergrund, dass 2023 bisher mehr als 219.000 neuangekommene Flüchtlinge registriert worden sind (im Vergleich zu 150.000 im Vorjahr und zusätzlich einer Million Flüchtlinge aus der Ukraine). Konkret fordern die Länder eine Pauschale von rund 10.000 Euro pro Jahr für jeden Flüchtling, die vollständige Übernahme der Unterkunftskosten sowie einen Inflationsausgleich. Auch für die Versorgung unbegleiteter Minderjähriger fordern die Länder eine höhere Pauschale.

Leistungen, Rückführungsabkommen und gemeinnützige Arbeit

Als weitere Maßnahmen werden gefordert: Geldzahlungen durch Sachleistungen oder eine Chipkarte zu ersetzen, den Familienzuzug zu begrenzen und Kürzungen bei den Sozialleistungen vorzunehmen, um weitere „Pull Faktoren“ zu reduzieren. Hier hatte allerdings das Bundesverfassungsgericht mit Verweis auf das Grundrecht eines menschenwürdigen Existenzminimums schon eine Grenze gezogen. Darüber hinaus fordern die Länder den Bund auf, mehr Rückführungsabkommen mit anderen Staaten zu schließen, um schneller „rückführen“ zu können. Zu guter Letzt wird auch vorgeschlagen, dass mehr Asylbewerber:innen gemeinnützige Arbeit leisten.

Abschiebungen “im großen Stil”

Beschlossene Sache waren bereits vorher: An den Grenzen zu Polen, der Tschechischen Republik, zu Österreich und der Schweiz werden Kontrollen durchgeführt, um illegale Einwanderung zu verhindern und gegen Schleuserkriminalität vorzugehen. Die Schleierfahndung im Grenzgebiet zu Polen und der Tschechischen Republik wurde ausgeweitet. Geflüchteten mit rechtlich gesicherter Bleibeperspektive sollen künftig nach sechs Monaten arbeiten dürfen. Kanzler Scholz kündigte an, Personen ohne Bleiberecht würden im „großen Stil“ abgeschoben.

Was wurde gestern beschlossen?

  1. Bei den Kosten für die Versorgung Geflüchteter kommt der Bund den Ländern mit einer Pro-Kopf-Pauschale von 7.500 € pro Jahr, statt wie bisher mit festen Pauschalen, entgegen.
  2. Bei Angehörigen von Staaten, die eine Anerkennungsquote von weniger als fünf Prozent haben, sollen das Asyl- und das anschließende Gerichtsverfahren in drei Monaten abgeschlossen werden.
  3. Alle anderen Asylverfahren sollen innerhalb von sechs Monaten beendet sein.
  4. Die Bezahlkarte für Einkäufe des täglichen Bedarfs wird kommen. Hierfür müssen zunächst noch Mindeststandards ausgearbeitet werden, gleichwohl soll im Januar 2024 ein Modell zur Einführung entwickelt sein.
  5. Analogleistungen (zum SGB II), die Asylbewerber:innen bisher nach 18 Monaten im Asylverfahren erhalten haben, sollen erst nach 36 Monaten zugestanden werden. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt es bei den üblichen Leistungen nach dem Asyl­bewerber­leistungsgesetz.
  6. Um die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber:innen voranzutreiben, sollen mit diversen Herkunftsländern Rücknahmeabkommen abgeschlossen werden.
  7. Außerdem vereinbarten Bund und Länder eine Prüfung von Asylverfahren außerhalb Europas, womit sie sich dem aktuellen EU-Kommissionsvorschlag anpassen und bisher existierende menschenrechtliche Grundsätze über Bord werfen.

Was bringt das Ganze?

Den Kommunen bringen die Beschlüsse zur Finanzierung der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten eine bessere finanzielle Absicherung, da die Zuschüsse aus dem Bund mit steigenden Asylbewerber:innenzahlen auch steigen.
Die anderen Beschlüsse sollen dazu dienen, die Zahl der Asylbewerber:innen zu reduzieren, doch ist fraglich, ob und welche Auswirkungen sie haben.

„Die Kontrollen an den deutschen Grenzen […] fortzuführen erhöht nur die Hürden, nach Deutschland zu kommen, hält aber niemanden davon ab, es zu versuchen – genauso wenig wie […] , Flüchtlingen erst nach drei Jahren reguläre Sozialhilfesätze zu gewähren oder eine „Bezahlkarte“ einzuführen. Das sind bloß Schikanen, um Flüchtlingen, die bereits in Deutschland sind, das Leben schwerer zu machen.“ (taz.de; 07.11.2023)

Letzten Montag gab es bei der Veranstaltung „30 Jahre Asylbewerberleistungsgesetz: Diskriminieren und abschrecken per Gesetz“ einen Input zu Asylbewerberleistungen von einem Anwalt für Sozialrecht. Der schärfte uns als Merksatz ein: Jeder Bescheid ist angreifbar. In Zukunft scheint dieser Grundsatz umso wichtiger zu werden.

Mehr dazu:

  • Video: „Migrationsgipfel: Das fordern die Länder von Scholz“; 06.11.2023; faz.de; mehr
  • Artikel: „Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern – Grüne zweifeln an Umsetzbarkeit von Kürzungen für Asylbewerber“; 07.11.2023; zeit.de; mehr
  • Artikel: „Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels: Magisches Denken“; 07.11.2023, taz.de; mehr
  • Artikel: „Treffen zu Migration Was Bund und Länder beschlossen haben“; 07.11.2023, tagesschau.de; mehr
  • Artikel: „Migrationsgipfel im Kanzleramt: Die Beschlüsse im Überblick“; 07.11.2023, br.de; mehr
  • Artikel: „Bamf-Auswertung : Zahl der Asylanträge auf höchstem Wert seit 2016“; 08.11.2023, taz.de; mehr

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