Fachliche Standards des Gangway e.V. – 2000
1. Arbeitsfeld Straße und Zielgruppe
Unsere Zielgruppe sind Jugendliche, deren Lebenssituation durch soziale und pädagogische Arbeit zu verbessern ist, die aber von bestehenden Einrichtungen der Jugend- und Sozialarbeit nicht genügend erreicht werden bzw. von diesen nicht erreicht werden wollen. Meist sind dies Jugendliche, die von gesellschaftlichen Umständen benachteiligt, ausgegrenzt, kriminalisiert, stigmatisiert werden und sich unerwünscht fühlen.
Die Möglichkeit der Befriedigung ihrer altersgerechten Bedürfnisse finden die Jugendlichen durch die Zugehörigkeit oder Zuordnung zu Gruppen, Cliquen oder Szenen. Ihre Treffpunkte sind z.B. Hinterhöfe, Kneipen und Einkaufszentren, wo sie durch ihr gruppenspezifisches Verhalten auffallen.
Die Straße ist legitimer Lebensraum und öffentlicher Treffpunkt, dem im Jugendalter eine besondere Bedeutung zukommt und vor allem deshalb (auch) für Jugendliche als solcher erhalten werden muß. Unser Anspruch ist es nicht, die Jugendlichen von der Straße zu holen, um sie anderenorts aufzubewahren.
Wir bieten Jugendlichen Unterstützung, Begleitung und Hilfe in Alltagssituationen an, über deren Bedarf und Umfang sie selbst entscheiden können. Streetwork will dazu beitragen, Konfliktlösungen im Vorfeld von Gewalt und Straffälligkeit zu finden. Die dafür notwendigen Arbeitsinhalte und Methoden orientieren sich in ihrer gesamten Vielfalt an den Bedürfnissen der Jugendlichen und den Möglichkeiten im jeweiligen Stadtteil.
Angebote im Freizeitbereich sollen den Jugendlichen dazu dienen, sich in abenteuerlichen Situationen zu erleben und kreative Potentiale zu erproben und darzustellen.
Die Vertrauensbildung und Beziehungsarbeit ist zentraler Bestandteil von Streetwork und wird u.a. durch Gruppenaktivitäten wie Tagesausflüge und Reisen gefördert.
Mobilität und Flexibilität der Arbeit auf der Straße dürfen nicht durch institutionalisierte Freizeitangebote oder die Übernahme von Rechtsträgerschaften über stationäre Einrichtungen eingegrenzt werden.
Der Aufbau stabiler Netzwerke im Stadtteil trägt dazu bei, entsprechende Angebote in enger Kooperation mit anderen Trägern zu initiieren und durch Streetwork über einen angemessenen Zeitraum zu begleiten.
Streetwork ordnet sich, als eigenständiges Arbeitsfeld mit spezifischen Methoden und Inhalten, in die Vielfalt der Formen sozialer Arbeit ein.
2. Parteilichkeit und Akzeptanz
Grundlage und Voraussetzung von Streetwork sind:
- der akzeptierende Ansatz, in dessen Mittelpunkt der Jugendliche selber steht;
- die Parteilichkeit für Jugendliche im gesellschaftlichen Kontext;
- sowie die kritische Auseinandersetzung im Umgang mit jedem Einzelnen und seinem Umfeld.
Die Entwicklung von geschlechtsspezifischen und interkulturellen Handlungskonzepten ist fester Bestandteil der Arbeit.
Jugendliche zu akzeptieren heißt, sich auf den einzelnen Jugendlichen, seine Biographie und soziale Lage einzulassen und sich mit ihm/ihr und seinen/ihren Verhaltensweisen auseinanderzusetzen.
Wir verstehen unsere Arbeit als einen Beitrag gegen Gewalt, Nationalismus, Extremismus und Sexismus und für ein interkulturelles Miteinander von Jugendlichen.
3. Vertrauen und Vertraulichkeit
Der Prozeß der Vertrauensbildung ist sehr sensibel und nur langfristig zu realisieren.
Wir führen keine Aufzeichnungen oder Akten über Jugendliche. Alle StreetworkerInnen haben eine arbeitsvertraglich geregelte Schweigepflicht über Kenntnisse, die sie durch ihre Tätigkeit erlangen.
Es gibt grundsätzlich keinen Austausch personen- und gruppenbezogener Daten mit der Polizei.
Problematisch bleibt, daß Streetworker in der Bundesrepublik immer noch kein Zeugnis-verweigerungsrecht haben – ein Recht, das in vergleichbaren Ländern längst Normalität ist.
Kontakt zu Dritten (Eltern, Schule, Beratungsstellen) wird von den Streetworker/innen nur dann aufgenommen, wenn die Jugendlichen dies ausdrücklich wünschen.
4. stadteilbezogen und überbezirklich
Streetwork heißt, sich auf die jugendlichen Lebenswelten in ihrer Komplexität einzulassen. Der Kontakt zu den Jugendlichen wird im Stadtteil aufgenommen. Hier können wir sie in ihrem Freizeitverhalten und ihrem Lebensumfeld kennenlernen, Veränderungsprozesse anregen, sie unterstützen und begleiten.
Die Szenetreffpunkte der verschiedenen Jugendkulturen orientieren sich oft nicht an bezirklichen Grenzen, insbesondere ausgegrenzte Jugendliche suchen meist anderenorts Anschluß an Gruppen und Treffpunkte. Dies erfordert Flexibilität und Mobilität von den Streetworker/innen.
Um im Interesse der Jugendlichen im Bezirk kompetent handeln zu können, bedarf es der stadtteilbezogenen, bezirklichen und überbezirklichen Kooperation und Vernetzung mit Einrichtungen und Institutionen sowie der kontinuierlichen Mitarbeit an der Jugendhilfeplanung.
Die Bezirksämter unterstützen insbesondere die ständige Erreichbarkeit des Teams im Bezirk, indem sie ein Stadtteilbüro (mit Telefon) zur Verfügung stellen.
5. Teamarbeit
Wir arbeiten grundsätzlich im Team. Dazu gehören mindestens drei, nach Möglichkeit vier Sozialarbeiter beiderlei Geschlechts.
In Teams, die mit Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft arbeiten, spiegelt sich deren Herkunft möglichst in der Teamzusammensetzung wider.
Die Jugendlichen suchen sich ihre Ansprechpartner/innen innerhalb des Teams aus. Die Kontaktaufnahme zu den Jugendlichen sowie die Begleitung von Gruppenaktivitäten erfolgen mindestens zu zweit. Dadurch wird nicht nur die Kontinuität der Ansprechbarkeit für die Jugendlichen (auch in Urlaubs- und Krankheitszeiten) gesichert, sondern es wird auch der Prozeß der Reflexion gefördert. Dieser hat gerade in Hinblick auf das in unserem Arbeitsfeld sehr sensible Wechselspiel von Nähe und Distanz eine zentrale Bedeutung.
Zur Reflexion und Weiterentwicklung der Arbeits- und Teamsituationen sind
– die Fähigkeit und Bereitschaft zur professionellen Reflexion der Arbeits- und Teamsituation,
– die kontinuierliche tätigkeitsbegleitende persönliche Qualifizierung
– sowie die verbindliche Möglichkeit, professionelle Teambegleitung und Supervision in Anspruch zu nehmen
unabdingbare Standards von Straßensozialarbeit.
Entscheidungen werden in den Teams durch wöchentlichen Austausch (Teamsitzungen) getroffen. Die Teams müssen, unter Berücksichtigung einer Vorbereitungszeit, jederzeit in der Lage sein, ihre Arbeit zu dokumentieren. Hierbei ist der Daten- und Vertrauensschutz gegenüber den Jugendlichen zu beachten. Über die geeignete Form entscheidet das jeweilige Team.
6. Interessenvertretung und Öffentlichkeitsarbeit
Strategien der Einmischung sind vor allem dort zu entwickeln, wo Jugendliche sich äußern, ihre Wünsche bemerkbar machen und in die Öffentlichkeit tragen wollen. Es reicht dabei aber nicht, LobbyistInnenfunktion für Jugendliche zu übernehmen, sondern wir wollen Jugendliche vor allem dabei unterstützen, ihre eigenen Beteiligungsformen zu entwickeln und entsprechende Möglichkeiten zu finden.
Darüber hinaus muß durch uns, in Absprache mit der Geschäftsführung, eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit (sowohl in der Fachöffentlichkeit als auch über die Medien) stattfinden. Zentrales Anliegen ist für uns die öffentlichkeitswirksame Darstellung jugendlicher Lebenswelten und Problemlagen. Dabei dürfen Jugendliche auf keinen Fall noch zusätzlich stigmatisiert werden.
Eine Vermittlung von Jugendlichen an die Medien außerhalb des Interesses der Jugendlichen schließen wir deshalb aus.