Vom 06. bis 16. Juli führten wir einen Fachkräfteaustausch mit Kolleg*innen in Kalifornien / USA durch und besuchten den zeitgleich stattfindenden Homeless World Cup, an dem unser Torwart von „Ocker-Beige Berlin“ teilnahm.
Die Vereinigten Staaten von Amerika stellen die weltweit größte Volkswirtschaft dar und Kalifornien ist einer der reichsten Bundesstaaten innerhalb dieses Landes. Wäre Kalifornien ein eigener Staat, so hätte dieser die fünftgrößte Wirtschaftsleistung auf diesem Planeten. Google, Facebook, Tesla, Apple, sie alle haben ihren Hauptsitz in Kalifornien. Was sollen drei Straßensozialarbeiter*innen, die sich mit Wohnungslosigkeit, also mit Armut beschäftigen in einer der reichsten Regionen der Welt könnte man sich fragen. Sieht man sich jedoch die sozialen Realitäten dort an ergibt diese Reise durchaus Sinn. Trotz allen Reichtums gibt es hier Tausende obdachloser Menschen, weit mehr als wir dies aus Berlin kennen (und in Berlin gibt es nicht gerade wenige).
Es war äußerst interessant einen Einblick in die dortige Gesellschaft und ihren Umgang mit Armut und Obdachlosigkeit zu erhalten und wir konnten uns durchaus inspirieren lassen. Viele Aufgaben, die wir in Europa klar als öffentliche also staatliche betrachten (Sicherheit und Ordnung, Soziales) werden in den USA zu einem großen Teil durch private Initiativen übernommen oder eben auch nicht übernommen.
Unser erster Besuch galt dem „Homeless World Cup“ in Sacramento und bereits hier erlitten wir den ersten Kulturschock: Die Veranstaltung war teilweise hochprofessionell organisiert, was die mediale Begleitung und die Organisation des Turniers anging, das Thema Obdachlosigkeit spielte jedoch kaum eine Rolle. Rings um das Turnier fand man zahlreiche Foodtrucks, einen Brillenhersteller mit einem Stand sowie die Sacramento State Police, die mit einem schicken Wagen vor Ort war. Soziale Träger oder politische Vereinigungen, die sich mit dem Thema Armut und Obdachlosigkeit auseinandersetzen suchte man vergeblich. Örtliche Initiativen wussten von der Veranstaltung teilweise nicht bzw. erfuhren aus der lokalen Presse davon. Das Ganze glich einem Event für Profisportler*innen. Da wir weder Sponsoren noch Pressevertreter*innen waren hatten die Veranstalter*innen auch nicht alllzu viel Zeit sich mit uns auszutauschen. Die Gespräche verliefen zwischen Tür und Angel, obwohl wir unseren Besuch sorgfältig vorbereitet und im Vorfeld korrespondiert hatten.
Bei der Organisation „Loaves and Fishes“ wurden wir jedoch entschädigt. Die Leiterin des Projekts, die dort eine sehr professionelle Arbeit mit Obdachlosen durchführt nahm sich Zeit für uns und unsere Fragen und erläuterte uns ihre Arbeit und ihre Ansätze. Die spendenfinanzierte Organisation verfügt in einem alten Industriegebiet Sacramentos, in dem riesige Zeltstädte vorzufinden sind, über ein ca. zwei Hektar großes Gelände, auf dem es zahlreiche Angebote für Obdachlose gibt:
Soziale und juristische Beratung, medizinische und psychologische Versorgung, Essensausgabe, Notübernachtung, Werkstätten, Bibliothek, Schule, Tierarzt und Tierheim, sowie ein sog. Freundschaftspark. „Loaves and Fishes“ arbeitet sehr wertschätzend mit den Menschen und involviert diese in das Projekt.
In der kalifornischen Hauptstadt besuchten wir noch zwei sog. „Safe Grounds“ mit unterschiedlichen Konzeptionen: Einer befand sich auf einem Privatgelände und war selbstverwaltet, der andere war städtisch und die Menschen dort sind starken Regulierungen ausgesetzt. Ein privater Sicherheitsdienst ist ständig vor Ort und das Gelände ist kameraüberwacht.
Die folgenden Tage verbrachten wir in San Francisco und erhielten hier einen Einblick in die städtisch organisierte aufsuchende soziale Arbeit: Wir trafen uns mit den Organisator*innen der „Homeless Outreach Teams“, sowie mit dem „Street Crisis Response Team“ bzw. dem „Street Overdose Response Team“. Auffällig war hierbei, dass der Schwerpunkt der aufsuchenden Arbeit auf dem Gesundheitsaspekt liegt und, dass die Arbeit zu einem großen Teil durch „Peers“ durchgeführt wird. Die Mitarbeitenden der „Homeless Outreach Teams“ erhalten einen sechswöchigen Lehrgang, in dem es jedoch nicht um sozialarbeiterische Fähigkeiten geht, sondern lediglich um bestimmte Arbeitsabläufe, wie die Funktionen der Statistikprogramme.
Des Weiteren hatten wir noch die Gelegenheit eine medizinische Einrichtung für Obdachlose und ein Wohnhheim des „Permanent Supportive Housing“ im Bezirk „Tenderloin“, einem Obdachlosen-Hotspot zu besichtigen und mit den Kolleg*innen ins Gespräch zu kommen. „Tenderloin“ ist ein Viertel, das durch Obdachlosigkeit und Drogenkonsum geprägt ist. Die Polizei hat sich hier größtenteils zurück gezogen, so dass „Community Work“ u.a. auch diese Aufgabe übernimmt. Diesbezüglich tauschten wir uns mit der Organisation „Urban Alchemy“ aus, die spendenfinanziert ist. Die Mitarbeitenden sind zu einem großen Teil ehemalige Strafgefangene, die nun für Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit, aber auch für Soziales sorgen sollen. Die Organisation hat auch Immobilien, in denen sie Obdachlose unterbringt und bietet hierbei einen höheren Standard als die staatlichen Unterbringungen.
Unser Ziel „Housing First“ in San Francisco genauer zu betrachten gelang nicht ganz, da dies kaum noch umgesetzt wird. Es gab wohl einen Versuch, der jedoch wenig erfolgreich war. Kolleg*innen berichteten uns, dass die Hauptursache für das Scheitern die Situation auf dem Wohnungsmarkt war und ist, denn in San Francisco ist eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung ab 2500,-$ aufwärts zur Miete zu haben. Aufgrund dessen war es nicht möglich den für „Housing First“ erforderlichen Wohnraum anzumieten. Eine Situation, die in Berlin zwar (noch) nicht so dramatisch wie am „Golden Gate“ ist, aber bekanntlich ist auch der Berliner Wohnungsmarkt alles andere als entspannt.