Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork und Mobile Jugendarbeit: Fachliche Standards
1. Zum Selbstverständnis von Streetwork und Mobile Jugendarbeit
Streetwork und Mobile Jugendarbeit wenden sich Personen zu, für die der öffentliche Raum, vor allem Straßen und Plätze, von zentraler Bedeutung sind.
Da diese Personen in der Regel von anderen sozialen Dienstleistungen nicht mehr erreicht werden (wollen), begeben sich Streetwork und Mobile Jugendarbeit zu deren Treffpunkten.
Streetwork und Mobile Jugendarbeit versuchen, die Lebenswelt ihrer AdressatInnen (wenn möglich mit ihnen) gemeinsam lebenswerter zu gestalten und/oder Alternativen aufzuzeigen, welche ein minder gefährdendes Zurechtkommen im öffentlichen Raum ermöglichen. Da das Leben wie Überleben im öffentlichen Raum mit besonderen Gefährdungslagen verbunden sind, bieten Streetwork und Mobile Jugendarbeit bedarfsgerechte Angebote für die Entwicklung von tragfähigen Zukunftsperspektiven an.
Streetwork und Mobile Jugendarbeit orientieren sich in ihrem Selbstverständnis an folgenden Arbeitsprinzipien: Aufsuchen, Niedrigschwelligkeit und Flexibilität der Angebote, Bedürfnis-, Lebenswelt- und Altagsorientierung, Freiweilligkeit und Akzeptanz, Vertrauenschutz und Anonymität, Parteilichkeit und Transparenz, Verbindlichkeit und Kontinuität. Geschlechtsspezifische Ansätze sind integraler Bestandteil der Arbeitsprinzipien. Diese Arbeitsprinzipien sind unverzichtbar, bedingen sich gegenseitig und prägen alle Angebote von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit. Diese Prinzipien bilden die Spezifik und das Setting von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit. Streetwork und Mobile Jugendarbeit sind eigenständige Arbeitsansätze.
Streetwork und Mobile Jugendarbeit haben gesetzliche Grundlagen in der Regel im Sozialgesetzbuch (z.B. Sozialgesetzbuch VIII – Kinder- und Jugendhilfe- und Bundessozialhilfegesetz als besonderer Teil des Sozialgesetzbuches).
Streetwork und Mobile Jugendarbeit sind Dienstleistungen Freier Träger der Jugend- und Wohlfahrtspflege wie der öffentlichen Träger der Jugend- und Sozialhilfe.
2. Streetwork und Mobile Jugendarbeit für Menschen in besonderen Lebenslagen und Sozialräumen
Streetwork und Mobiler Jugendarbeit wenden sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die aus unterschiedlichen Gründen von gesellschaftlichen Integrationsbemühungen nicht erreicht werden (wollen) und für die der öffentliche Raum zum überwiegenden Lebensort wird. Prozesse sozialer Benachteiligung und Ausgrenzung sind ursächlich für die Verlagerung des Lebensmittelpunktes in den öffentlichen Raum. Dadurch sind sie zusätzlich betroffen von Zuschreibungen wie Stigmatisierung und Kriminalisierung. Oft schließen sie sich mit gleichermaßen Betroffenen zu Gruppen, Cliquen oder Szenen zusammen.
Dabei gilt es spezifische Angebote zu entwickeln, die problemlagen- und lebensweltbezogen sind sowie stets die entsprechenden Sozialräume aktiv mit einbeziehen.
Streetwork und Mobile Jugendarbeit können sich nicht darauf beschränken, die Probleme zu bearbeiten, die sich aus dem Leben im öffentlichen Raum ergeben. Sie müssen auch Unterstützung bei der Bewältigung der Probleme anbieten, die zum Leben im öffentlichen Raum geführt haben. Dabei müssen sie den Gedanken ernst nehmen, daß für diese Personen der öffentliche Raum eine legitime und selbstverständliche Lebenswelt ist, die als attraktiver und zugleich risikoreicher öffentlicher Ort erfahren wird.
Streetwork und Mobile Jugendarbeit sehen es auch als ihre Aufgabe an, Brücken zwischen den NutzerInnengruppen des öffentlichen Raums zu bauen. Dadurch soll den Ausgrenzungsmechanismen, die sich durch die zunehmende Verregelung und Privatisierung des öffentlichen Raums verstärken, entgegengewirkt werden.
Der öffentliche Raum ist für alle Menschen ein legitimer Ort mit unterschiedlicher Nutzung. Einer einseitigen Nutzung bei gleichzeitigem Ausschluß von Personen mit „besonderen Verhaltensweisen“ wollen Streetwork und Mobile Jugendarbeit parteilich und solidarisch widersprechen.
3. Ziele von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit
Streetwork und Mobile Jugendarbeit verfolgen die Ziele, Ausgrenzung und Stigmatisierung von Personen zu verhindern oder zu verringern. Sie bieten ihnen deshalb lebensfeldnahe soziale Dienstleistungen an, die ihre soziale Intergration fördern sollen und setzt sich für positive Lebensbedingungen im öffentlichen Raum ein. Daraus ergeben sich:
- Förderung der Akzeptanz bzw. Verbesserung bestehender Lebenswelten,
- Erweiterung der sozialen Handlungskompetenz der AdressatInnen,
- Erschließung gesellschaftlicher (Fremdhilfepotential) und individueller Ressourcen (Selbsthilfepotential),
- Entwicklung und Unterstützung bei der Umsetzung von Lebensperspektiven,
- Reduzierung und Vermeidung gesellschaftlicher Benachteiligungen und Diskrimierungen,
- Entwicklung inhaltlich-fachlicher und sozialpolitischer Einmischungsstrategien,
- Vertretung der Interessen von Gruppen, Cliquen und Szenen,
- Erschließen, Erhalten und Zurückgewinnen von öffentlichen Räumen,
- Institutionelle und konzeptionelle Innovation als Grundlage für Sozial- und Jugendhilfeplanung,
- Orientierungshilfen bei verschiedenen Lebensfragen (z.B. Jugend-, Sozialhilfe, Ausbildung, Arbeit, Wohnen, Familie, Existenzsicherung, Gesundheitsfürsorge)
4. Tätigkeitsbereiche und Angebote von Streetwork und Mobile Jugendarbeit
Die Angebote von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit werden im wesentlichen drei Tätigkeitsbereichen, die sich bei jeweiligem Blickwinckel zum Teil überschneiden, zugeordnet:
- unmittelbar adressatinnenbezogene Hilfeangebote
- infrastrukturelle Tätigkeiten
- Querschnittsfunktionen
Das Angebotsspektrum von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit zielt darauf ab, Vertrauen zu den jeweiligen AdressatInnen aufzubauen, ihre soziale Ausgrenzung zu vermeiden und beinhalten u.a. folgende, auf Lebensbewältigung abzielende Angebote:
Hierzu gibt es Schaubilder im .pdf-Format.
Beziehungsarbeit
Aufbau und Pflege von langfristigen, tragfähigen, verbindlichen und reflektierten Beziehungen zu den Adressatinnen unter Berücksichtigung eines professionellen Nähe-Distanz-Verhältnisses
Kontaktpflege
Schaffung eines vertrauensvollen Kontaktnetztes zu den Adressatinnen
Beratung
Beratungsangebot mit Blick auf individuelle und gruppenbezogene Bedarfe
Gruppen- und Projektarbeit
Soziales Lernen als Angebot zur Entwicklung positiver Lebensentwürfe
Freizeitgestaltung/Erlebnispädagogik
Ein Angebot zum Erfahren persönlicher Stärken und Grenzen
Begleitung
Angebot einer solidarischen Unterstützung gegenüber Ämtern, Institutionen und Behörden (Anwalts- bzw. Beistandsfunktion)
Verhandlung
direktes oder indirektes parteiliches Verhandlungsangebot mit mindestens zwei Problembeteiligten (Personen oder Institutionen);Vermittlung als Vermittlungsangebot, das die Aktivierung von Hilfe anderer Einrichtungen zum Ziel hat
Vermittlung von Handlungskompetenz
Vermittlung von Handlungskompetenzen, die für die individuelle Lebenswelt der AdressatInnen unabdingbar sind
Unterstützung
Als Angebot zur Existenzsicherung, als zur Vermittlung von Arbeit, Ausbildung oder einer anderen Dienstleistung. Dieses Angebot ist nicht lediglich auf Kontakt-herstellung (Vermittlung) zu reduzieren
Konfliktmanagement
Als Eingriff in negative Verlaufsprozesse mit dem Ziel einer Unterbrechung von objektiver Gefährdung und einer Verankerung subjektiven Verhaltens und Eröffnung von Perspektiven, Angebot von Ausstiegshilfen aus für von Adressatinnen für abträglich oder gefährlich gehaltenen Karrieren
Eröffnen von Räumen
Begleitung von Gruppen, die sich in Räumen bewegen, die durch Streetwork und Mobile Jugendarbeit initiiert worden sind
Verbesserung der Infrastruktur
Verbesserung und Schaffung von Angeboten im Lebensraum der AdressatInnen und Einflußnahme auf lokale sozial-und jugendpolitische Entscheidungen
Vernetzung
(Fach)Gremienarbeit / Kooperation / Öffentlichkeitsarbeit sind fach-, ressort- und regionalübergreifende Arbeitsansätze bzw. Angebote, die der Interessen(selbst)vertretung der AdressatInnen und der Entwicklung der örtlichen Hilfestrukturen dienen
Öffentlichkeitsarbeit
Darstellung und Vermittlung der Lebenswelt der AdressatInnen in der Öffentlichkeit
Diese Angebote nehmen besonders Rücksicht auf die Erfordernisse, die sich aus unterschiedlicher geschlechtlicher und ethnischer Zugehörigkeit ergeben.
5. Rahmenbedingungen von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit
Um effektiv und effizient arbeiten zu können, brauchen Streetwork und Mobile Jugendarbeit passende Rahmenbedingungen. Unter Rahmenbedingungen sind alle Voraussetzungen und Umstände zu verstehen, deren Vorhandensein oder Bereitstellung in die Verantwortung der Träger bzw. Geldgeber fallen.
Vier Bereiche von Rahmenbedingungen werden von den Streetworkern und Mobilen JugendarbeiterInnen formuliert, denen entsprechende Arbeitsbedingungen zugeordnet werden:
- a) Personelle Rahmenbedingungen
- b) Materielle Rahmenbedingungen
- c) Strukturelle Rahmenbedingungen
- d) Fachliche Begleitung/Reflexion
Die folgende Tabelle gibt es als Schaubild im .pdf-Format.
Personelle Rahmenbedingungen
- schriftliche Vereinbarung von Arbeitsauftrag und
- Arbeitsplatzbeschreibung vor Projektbeginn
- Teamarbeit
- bedarfsorientierte Team-konstellation (gemischt- geschlechtlich/multiethnisch)
- Stellenvolumen für Team (mindestens 2,5)
- unbefristete bzw. langfristige Arbeitsverträge- Honorarkräfte zur Ergänzung
- Einstellung von quali-fiziertem Fachpersonal (SozialarbeiterInnen und vergleichbare Erfahrungen und Kenntnisse)
- tarifgemäße Bezahlung (BAT IVa), Zulagen gemäß BAT Anlage 1 a
- Wahrnehmung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (z.B. in Fragen der Gesundheitsfürsorge)
Materielle Rahmenbedingungen
- Kommunika-tionsmöglichkeiten- geeignete Räum-lichkeiten
- Verfügungsgeld- Handgeld- Pauschale
- Büroorganisation- Verwaltungskosten- Regiekosten- Honorarmittel
- Fahrkostenübernahme- Mittel für Mobilität
- Mittel für Aktivitäten, Programme und Freizeiten
- mobile Arbeits-materialien
- Mittel für Fürsorge des Arbeitgebers
Strukturelle Rahmenbedingungen
- Vernetzung und Kooperation als Teil des Arbeitsauftrags
- Einbindung in Hilfe- und Kooperationssystem
- Dienstausweis
- verbindliche Zugänge zu Ämtern und Kooperations- und Ansprechpartnern aufbauen und pflegen
- Vertrauensschutz- Forderung: Zeugnis-verweigerungsrecht
Reflexion
- Planung- Qualitätssicherung
- Mittel für Evaluation(finanzielle und zeitliche Ressourcen)
- qualifizierte Einarbeitung für KollegInnen in neuen Projekten
- Mitarbeiter-besprechung(Arbeitsbewertung)
- kollegiale Beratung
- Supervision
- Fortbildung- Teilnahme an Fachtagungen
6. Qualitätssicherung
Wenn man Streetwork und Mobile Jugendarbeit betrachtet, geht es um die Qualität eines Handlungsablaufes. Dieser Handlungsablauf (z.B Beratung, Begleitung, Basisversorgung, etc.) ist komplex und hat verschiedene Dimensionen.
Dadurch ist Qualitätsbeschreibung von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit ein Konzept, das unterschiedliche Ebenen dieses Handlungsprozesses beschreibt.
Drei wichtige Ebenen der Qualität von Streetwork/Mobiler Jugendarbeit sind u.a. die Wirksamkeit, die Wirtschaftlichkeit und der soziale Aspekt der Tätigkeit. Daraus ergibt, das in die Bewertung des Handlungsablaufes, neben funktionalen und wirtschaftlichen ausdrücklich auch soziale Gesichtspunkte einfließen müssen.
Bezugsebenen von Qualität sind:
Qualität entwickelt sich aus dem Zusammenwirken verschiedener materieller, struktureller und personeller Gegebenheiten. In der Qualitätsdiskussion wird in der Regel eine analytische Unterscheidung zwischen Struktur, Prozeß und Ziel vorgenommen.
Es gibt keinen allgemeingültigen Maßstab für Qualität, sondern abhängig von Interessenlagen unterschiedliche Definitionen. So wird für die AdressatInnen von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit der Grad der Nützlichkeit der Angebote und der Bedürfnisbefriedigung das entscheidende Kriterium für Qualität darstellen.
Für die MitarbeiterInnen von Streetwork und Mobile Jugendarbeit ist die Professionalität das entscheidene Kriterium, d.h. z.B. die Vertretbarkeit und Angemessenheit sozialarbeiterischen Handelns.
Für die Kostenträger ist Qualität die möglichst effiziente Erbringung einer definierten Leistung, wobei das Leistungsniveau idealerweise gesellschaftlich ausgehandelt wird.
Auf der Ebene der Gesellschaft bzw. der Politik steht schließlich der gesellschaftlichen Nutzen im Vordergrund.
Auf diesem Hintergrund muß Streetwork und Mobile Jugendarbeit Kriterien für Qualität entwickeln. Diese orientieren sich an möglichst präzise formulierten Hilfebedarf, Zielen und Angeboten unter Berücksichtigung der verschiedenen oben genannten Interessenlagen.
Aus der Darstellung wird deutlich, daß Qualität der Grad der Zielerreichung ist. Projekte der Streetwork und Mobile Jugendarbeit müssen aus dem Querschnitt des Hilfebedarfes der Adressatinnen, der unterschiedlichen Interessenlagen und Standards von Streetwork und Mobile Jugendarbeit ihre spezifischen Kriterien entwickeln und überprüfen.
Die Qualitätssicherung erfolgt über Leistungs- und Angebotsbeschreibungen, Systematische Reflexion und (Jahres)Planung, Selbstevaluation und Dokumation der Arbeit.
Von den Praktiker/innen der Bundesarbeitsgemeinschaft werden u.a. folgende Methoden der Qualitätssicherung ihrer Arbeit benannt:
Darstellung und Dokumentation der Projekte von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit in Form von Jahresberichten, in der Dokumentation von Projekt- und Gruppenarbeit, in der Dokumentation von Angeboten der Einzelbetreuung;
Beschreibung einzelner Leistungsangebote und Methoden, die spezifisch für Streetwork und Mobile Jugendarbeit sind (Qualitative Analyse);
Theoretische Verzahnung interner und externer Entwicklungen im Arbeitsfeld (statistische Erhebungen, Interviews, Befragungen von Jugendlichen), Vergleich von Entwicklungs-tendenzen in ähnlichen Ballungsgebieten;
Analyse der quantitativen Aspekte der Leistungs- und Tätigkeitsangebote von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit (z.B. statistische Erhebung, monatliche Arbeitszeiterfassung);
Analyse projekt- bzw. vereinsinterner Prozesse (konzeptionell-inhaltlich, strukturelle und personelle Entwicklung in internen Berichten und Klausurtagungen);
Teamreflexion, z.B. als Fallbesprechung, durch Führen eines Teamtagebuches, durch Verschriftlichung von Feldanalysen, durch Analyse von Gruppenprozessen zwischen den MitarbeiterInnen;
Analyse und Auswertung projektinterner Prozesse unter Einbezug externer BeraterInnen, z.B. in Form von Supervision und Evaluation.
Diese Methoden sind verfügbare Bausteine der Qualitätssicherung und sind entsprechend den jeweiligen Bedingungen der Projekte anwendbar.
Ein Standardpapier kann keine Spezifizierung von Qualitätskriterien leisten, sondern lediglich Orientierungshilfe bieten.