Straftaten von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden – wann wird das „mildere“ Jugendstrafrecht angewandt? – Ein Überblick
Zum Verständnis: Auszüge aus den Gesetzestext des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) und des Strafgesetzbuches (StGB)
§1 JGG Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich
(1) Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist.
(2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.
§ 3 JGG Verantwortlichkeit
Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. (…)
§ 105 JGG Anwendung des Jugendstrafrechtes auf Heranwachsende
(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr.1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn
1. die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2. es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.
(2) (…)
(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.
§ 19 StGB Schuldunfähigkeit des Kindes
Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist.
Für Eilige: Kurzfassung
- Jugendstrafrecht ist milder als das „normale“ Erwachsenenstrafrecht. Es steht der Erziehungsgedanke im Vordergund – alle einem Jugendlichen gegenüber verhängte Maßnahmen sollen erzieherisch auf ihn einwirken. Im Jugendstrafrecht gibt es zwar keine Geldstrafe, aber als Auflage kann bestimmt werden, dass ein Geldbetrag an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen ist.
- Wegen des Erziehungsgedankens gibt es Rechtsfolgen wie Weisungen, Anordnung einer Hilfe zur Erziehung, Verwarnung, Erteilung von Auflagen und Arrest, aber auch als schärfstes Mittel die Jugendstrafe als Freiheitsentzug.
- „Kinder“ sind Personen unter 14 Jahren, „Jugendliche“ solche zwischen 14 und 18, „Heranwachsende“ solche zwischen 18 und 21 Jahren.
- Kinder sind grundsätzlich strafunmündig, d.h. sie können nicht nach den Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes oder Strafgesetzbuches bestraft werden, allerdings können Erziehungsmassnahmen durch das Jugendamt festgelegt werden (z.B. Soziale Gruppenarbeit, Familienhelfer).
- Heranwachsende werden noch nach dem milderen JGG bestraft, wenn ihre Persönlichkeit der eines Jugendlichen gleichsteht oder es sich um eine jugendtypische Verfehlung handelt, § 105 JGG. Das ist aber fallabhängig und keinesfalls so, dass jeder Heranwachsende wegen seines bloßen Alters noch darauf hoffen kann, nach dem milderen JGG bestraft zu werden.
- Ab dem 21. Lebensjahr ist die Anwendung des Jugendstrafrechts endgültig nicht mehr möglich.
Für Ausdauernde: Einzelne Erklärungen
1. Kinder, Jugendliche, Heranwachsende – was gilt für wen?
Kind im Sinne des StGB ist, wer zum Zeitpunkt der Begehung der Tat noch nicht das vierzehnte Lebensjahr vollendet hat. Das Gesetz geht davon aus, dass Kindern immer die (strafrechtliche) Einsichtsfähigkeit fehlt. Die Folge ist, dass Kinder schuldlos handeln und somit strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können (Strafunmündigkeit).
Für Kinder gilt daher auch nicht das Jugendstrafrecht. Als Konsequenz aus Kinderdelinquenz kommen Maßnahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII), wie z.B. Hilfe zur Erziehung, §§ 27 ff. SGB VIII oder nach §§ 1631 Abs. 3, 1666 BGB in Frage.
Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt ist, § 1 Abs. 2 JGG.
Aber auch dann, wenn das JGG einschlägig ist, d.h. wenn die Tat eines Jugendlichen strafrechtlich zu beurteilen ist, wird ein Jugendlicher nur unter der weiteren Bedingung des § 3 JGG strafmündig.
Strafmündig ist ein Jugendlicher, wenn die gerichtliche Überprüfung ergibt, daß er zum Zeitpunkt der Tat nach seiner geistigen und sittlichen Entwicklung reif genug war, das Unrecht der Tat einzusehen und danach zu handeln. Erst dann kann eine Tat nach den Regelungen des JGG bestraft werden.
Fehlte dem Jugendlichen zum Tatzeitpunkt diese geistige und sittliche Reife, ist er strafunmündig. Als Konsequenz seiner Verfehlung kommt die Anordnung von Erziehungsmaßnahmen durch den Jugendrichter in Frage. Diese sind wiederum im SGB VIII geregelt, z.B. die Unterbringung des Jugendlichen nach Entzug der Personensorge.
Die Regelung des § 3 JGG bezieht sich nicht auf Heranwachsende.
Heranwachsender ist, wer zum Zeitpunkt der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist. Bei einem Heranwachsenden ist in einer ähnlichen Prüfung zu untersuchen, ob er zum Zeitpunkt der Tat einem Jugendlichen in seiner geistigen und sittlichen Entwicklung gleichstand, § 105 JGG. Ist dies der Fall, dann wird auch auf Heranwachsende das Jugendstrafrecht angewendet.
2. Jugendstrafrecht – was ist das überhaupt?
Das „normale“ Strafrecht kann man auch Erwachsenenstrafrecht nennen. Erwachsenenstrafrecht zielt auf Vergeltung und Abschreckung, beim Jugendstrafrecht steht Erziehung im Vordergrund: Deswegen spricht das Gesetz auch von „Verfehlungen“ der Jugendlichen und nicht von „Verbrechen“ oder „Vergehen“. Rechtsfolgen können dann sein: Weisungen, Anordnung einer Hilfe zur Erziehung, Verwarnung, Erteilung von Auflagen und Arrest, aber auch als schärfstes Mittel die Jugendstrafe als Freiheitsentzug.
Jugendstrafrecht wird auf Jugendliche und u.U. auch auf Heranwachsende angewandt.
3. Wann wird auch ein Heranwachsender nach dem Jugendstrafrecht bestraft?
Auch beim Heranwachsenden (also 18 bis 21jährigen) kann Jugendstrafrecht angewandt werden, wenn eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters unter Berücksichtigung seines Umfeldes ergibt, dass er nach seiner „sittlichen“ und geistigen Entwicklung auf dem Niveau eines Jugendlichen stand oder es sich nach der Art oder den Motiven für die Tat um eine typische Jugendtat handelt. Ist das nicht der Fall, wird Erwachsenenstrafrecht angewandt.
Die Entscheidung trifft der Richter, der sich dazu einen Bericht von der Jugendgerichtshilfe vorlegen läßt und sich in der Hauptverhandlung einen persönlichen Eindruck verschafft. Bei der Jugendgerichtshilfe arbeiten in der Regel SozialarbeiterInnen, die sich mit den Jugendlichen vor der Verhandlung unterhalten und Fragen stellen nach dem Umfeld, dem bisherigen Leben, der Familie, warum die Tat begangen wurde usw.
Was sind denn typische Jugendtaten? z.B. gelegentliche Ladendiebstähle, Körperverletzungen im Rahmen einer „Mutprobe“ unter Gleichaltrigen, Sachbeschädigung im angetrunkenen Zustand nach einer Party, Beleidigungen nach einer Provokation, Grafitti usw.
Für die Frage, ob Jugendstrafrecht angewandt wird, ist das Alter zum Zeitpunkt der Tat und nicht das zum Zeitpunkt der nachfolgenden Gerichtsverhandlung entscheidend. Das heißt, auch ein 27jähriger, dessen Taten nach einiger Zeit entdeckt und angeklagt werden, wird nach dem JGG bestraft, wenn er zum Zeitpunkt der Tat 17 Jahre alt war.
4. Welche Rechtsfolgen – „Strafen“ – gibt es im Jugendstrafrecht?
Das Jugendstrafrecht sieht eine Stufenfolge der Sanktionen vor:
Erziehungsmaßregeln (§§ 9 ff. JGG, Weisungen und Anordnung, Hilfe zur Erziehung in Anspruch zu nehmen) sollen die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern.
Am häufigsten sind die Weisungen: Erbringung von Arbeitsleistung (bestimmte Anzahl von Stunden bei einer Einrichtung), Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs und der Täter-Opfer-Ausgleich.
Täter-Opfer-Ausgleich kann z. B. bedeuten, dass der Täter sich beim Opfer entschuldigt oder bspw. einen Gartenzaun selber repariert, den er zuvor zerstört hatte.
Wenn diese nicht ausreichen, werden „Zuchtmittel“ verhängt (§§ 13 ff. JGG, Verwarnung, Auflagen, Jugendarrest; vgl. dazu „Jugendarrest – ein Knast oder eine Jugendherberge?!“).
Wenn diese ungenügend erscheinen, kommt Jugendstrafe, also Freiheitsentzug, in Betracht (§§ 17 ff. JGG).
Daneben können immer sog. „Maßregeln der Besserung und Sicherung“ verordnet werden, d.h. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, Führungsaufsicht oder Entzug des Führerscheins (§ 7). Es können aber auch mehrere Sanktionen miteinander verbunden werden: Die Weisung, eine Ausbildungsstelle anzunehmen kann mit einer Verwarnung zusammen ausgesprochen werden.
5. Was passiert, wenn der Jugendliche die Weisungen gar nicht oder nicht vollständig erfüllt?
Der Jugendliche wird dann vom Gericht angemahnt und u.U. wird ein Anhörungstermin angesetzt, in dem der Jugendliche erklären kann, warum er den Weisungen nicht nachgekommen ist. Damit den Weisungen Nachdruck verliehen werden kann, können diese durch Beugearrest von bis zu vier Wochen durchgesetzt werden (vgl. §§ 11 Abs. 3 und 65 JGG). Geht jemand in den Beugearrest, heißt das nicht, dass danach „die Sache erledigt“ ist: Also müssen in der Regel immer noch z.B. Arbeitsstunden erbracht werden – Beugearrest ist kein Ersatz für die nicht geleisteten Stunden!