Erklärungen zu den §§ 20, 21 StGB; was passiert dem Täter, wenn er im Rausch Taten begangen hat?
Was ist eine Blutalkoholkonzentration?
Zum besseren Verständnis: Gesetzestext
§ 20 StGB Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störung
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
§ 21 StGB Verminderte Schuldfähigkeit
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
§ 323a Vollrausch
(1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.
(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist.
(…)
Für Eilige: Kurzfassung
- Um sich strafbar zu machen, muß der Täter den Tatbestand des Gesetzes erfüllen, es dürfen keine Rechtfertigungsgründe wie Notwehr, § 32 StGB o.ä. eingreifen und er muß schuldfähig gehandelt haben.
- Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres sind immer gem. § 19 StGB schuldunfähig.
- Bei allen anderen Tätern kann die Schuldfähigkeit aufgrund von Drogen oder Alkohol und anderer Ursachen wie Geisteskrankheit verringert sein, oder sogar gem. § 20 StGB ganz entfallen.
- In der Regel ist jemand ab 3,0 Promille Blutalkoholkonzentration (BAK) schuldunfähig. Bei Tötungsdelikten erst ab 3,3 Promille BAK. Dies sind aber nur Richtwerte. Im Einzelfall kann das Gericht auch hiervon abweichen.
- Für im Vollrausch begangene Delikte kann man gem. § 323a StGB bestraft werden, der Strafrahmen beträgt bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.
- Wer sich betrinkt und weiss oder damit rechnet, dass er in diesem Zustand eine bestimmte Straftat begehen wird, wird u.U. wie ein „normaler Täter“ bestraft, also zum Teil härter als nach § 323a StGB.
Für Ausdauernde: Einzelne Erklärungen
1. Was soll heißt „Schuld“?
Um sich strafbar zu machen, muss der Täter die im Gesetz beschriebene Handlung vornehmen oder unterlassen. Dazu dürfen keine Rechtfertigungsgründe vorliegen – und der Täter muss „schuldhaft“ gehandelt haben.
Ein Beispiel: Der Täter schlägt sein Opfer mit der Faust ins Gesicht. Er hat das Opfer dadurch verletzt, er wurde von ihm vorher nicht angegriffen, also liegt keine Notwehr vor und er war weder geistig behindert noch vollkommen betrunken, also handelte er schuldhaft.
Schuld im strafrechtlichen Sinne bedeutet, dass die Tat dem Täter persönlich nach seiner Einsichtsfähigkeit vorgeworfen werden kann. Der Täter trägt immer dann die Verantwortung für sein normwidriges Verhalten (Verhalten, durch das er gegen Gesetze verstößt), wenn er sich auch anders hätte entscheiden können. Der Täter muss also sowohl über eine Einsichts- als auch über eine Steuerungsfähigkeit verfügen.
Der Gesetzgeber geht mit dem Strafgesetzbuch davon aus, dass der Mensch ab einem gewissen Alter grundsätzlich in der Lage ist, zwischen Recht und Unrecht entscheiden zu können und zu müssen und dementsprechend zu handeln.
Kinder sind bis zur Vollendung des 14.Lebensjahres gem. § 19 StGB nicht schuldfähig, weil sie bis dahin noch keine zuverlässige Einsichtsfähigkeit erlangt haben oder aufgrund quertreibender Motivationen (Abenteuerlust, Frust etc.) noch nicht nach ihrer Einsicht handeln können.
Fehlt die Schuld ganz (wohl besser: die Einsichtsfähigkeit), dann wird der Täter nicht z.B. nach § 223 StGB für eine Körperverletzung bestraft – das regelt § 20 StGB. Ist die Schuldfähigkeit eingeschränkt, kann er milder bestraft werden, § 21 StGB.
2. Wann fehlt dem Täter die Schuld, wann wird er nicht oder milder bestraft?
Das Gesetz kennt mehrere Fälle, wann die Schuldfähigkeit entfallen oder eingeschränkt sein kann:
„Krankhafte seelische Störung“
Dazu gehören alle auf einem hirnorganischen Prozess beruhenden Erkrankungen, wie z.B. chronische degenerative Erkrankungen des Zentralnervensystems (Alzheimer, senile Demenz), Hirnateriosklerose, Epilepsie, aber auch endogene Psychosen wie Schizophrenie und manisch-depressives Störungen. Es sind aber auch Zustände nach Hirnverletzungen, Vergiftungen, altersbedingte Hirnabbauprozesse und die Folgeerscheinungen von Alkohol-, Drogen- und Medikamentenabhängigkeit.
„Tiefgreifende Bewußtseinsstörung“
Dazu gehören Bewußtseinsstörungen, die unmittelbar den Verlust der Entscheidungsfreiheit zum Zeitpunkt der Tat zur Folge haben. Relevant sind vor allem Fälle des Affektes, d.h. der extremen psychischen Erregtheit. Unter sehr eingeschränkten Umständen kann ein Affekt zur Schuldunfähigkeit führen. Auch extreme Erschöpfung oder Ermüdung, Unfallschocks oder hypnotische Zustände können hier in Betracht kommen.
„ Schwachsinn oder andere seelische Abartigkeit“
Das umfaßt psychische Fehlanlagen oder -entwicklungen, die nicht auf organischen Prozessen oder Defekten beruhen. Schwachsinn ist die angeborene oder auf seelischer Fehlentwicklung beruhende
Intelligenzschwäche. Andere Ausdrücke sind Imbezillität oder Debilität.
Die anderen schweren seelischen Abartigkeiten umfassen namentlich Psychopathien, Neurosen und Triebstörungen.
Die Abartigkeit kann sich aber auch in anderen Abweichungen ausprägen: Spielleidenschaft, Stehlsucht, Fetischismus, Hörigkeit oder Hang zum Querulieren. Voraussetzung ist allerdings, dass die Abartigkeit „schwer“ ist. Diese Einschätzung ist regelmäßig den Sachverständigen der forensischen Psychiatrie vorbehalten.
3. Alkohol- und Drogenrausch
Der Konsum von Rauschmitteln, Medikamenten oder Giften kann vorübergehende Beeinträchtigungen der Hirntätigkeit (medizinisch: akute Intoxikationspsychose) auslösen.
Von besonderer Relevanz für die Praxis ist dabei der Alkoholkonsum.
Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB kann ab einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 3,0 Promille aufwärts angenommen werden – bei Tötungsdelikten erst bei 3,3 Promille. Erst ab diesen Werten kann jemand als schuldunfähig angesehen werden und wird ggf. aus dem begangenen Delikt nicht bestraft – was aber nicht heißt, dass er straffrei ausgeht.
Bei einer BAK von 2,0 Promille bis 2,9 Promille kann verminderte Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB vorliegen, die zur Strafmilderung führen kann.
Eine allgemeine Regel, dass bei einer bestimmten BAK automatisch die §§ 20, 21 StGB angewendet werden müssen, gibt es nicht. Es kommt dabei immer auf die Umstände des Einzelfalls an, so wird z.B. regelmäßiger erheblicher Alkoholkonsum eines Täters eher dazu führen, dass von höheren Werten bis zum Erreichen eines Zustands der Schuldunfähigkeit ausgegangen werden muß.
Bei Ermittlung der BAK wird ein maximaler stündlicher Abbauwert von 0,2 Promille zugrunde gelegt. Wenn also die BAK zur Tatzeit ermittelt werden soll, werden pro Stunde, die bis zur Blutentnahme vergangen ist, 0,2 Promille hinzugerechnet plus einmalig 0,2 Promille Sicherheitszuschlag. Für die Berechnung des BAK-Wertes muss eine Blutentnahe erfolgen, welche richterlich angeordnet werden muss.
4. Wird ein schuldunfähiger Täter dann gar nicht bestraft?
Das kann so pauschal nicht beantwortet werden.
Zunächst hat das Gericht die Möglichkeit, bei schuldunfähigen oder vermindert schuldfähigen TäterInnen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt anzuordnen, §§ 61 ff. StGB.
Wenn etwas „im Suff passiert“, kann es gerecht sein, dass TäterInnen dafür nicht bestraft werden – sie waren unfähig, ihr Verhalten richtig zu steuern. Sie werden aber dann nicht wegen der im Rausch begangenen Tat bestraft, sondern dafür, dass sie sich in einen solchen Zustand versetzt haben. Dies müssen sie allerdings fahrlässig oder vorsätzlich getan haben. Das regelt § 323a StGB. Grund für die Strafe ist das tatsächlich folgenschwere Sich-Betrinken. Das Strafmaß ist hier bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.
Aber Vorsicht!:
Wer sich betrinkt (etwa um sich Mut anzutrinken) und weiss oder damit rechnet, dass er in diesem Zustand eine bestimmte Tat begehen wird, kann u.U. trotzdem wie ein „ganz normaler“ Täter bestraft werden (für Interessierte: Rechtsfigur der sog. „actio libera in causa“- kurz: „alic“). Dafür notwendig ist, dass man den rauschbedingten Zustand ausnutzt, um eine andere Tat im schuldausschließendem Zustand zu begehen. Man wird dann also nicht „nur“ wegen Vollrausches bestraft sondern u.U. härter nach der jeweiligen Vorschrift.
Dies ist auch einleuchtend, denn man soll sich natürlich nicht absichtlich schuldunfähig machen und dann straffrei die verschiedensten Delikte begehen können.