Ablauf, Inhalt eines Prozesses vor dem Strafgericht und Rechte sowie Pflichten des Angeklagten
Für Eilige: Kurzfassung
– Der Prozess vor dem Strafgericht ist in der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Weitere Normen finden sich für Prozesse gegen Jugendliche und u.U. Heranwachsende im Jugendgerichtsgesetz (JGG).
– Das Verfahren unterteilt sich in das Ermittlungs-, Zwischen-, Haupt-, Rechtsmittelverfahren und den Strafvollzug.
– Im Ermittlungsverfahren wird von der Staatsanwaltschaft mit Unterstützung der Polizei untersucht, ob sich genügend Anhaltspunkte für eine Klageerhebung finden lassen (Beweisaufnahmen etc.). Unter Umständen wird der Beschuldigte mehrmals vernommen: Bei der Strafanzeige von der Polizei, danach vom Staatsanwalt und nochmals vor Gericht.
– Die Staatsanwaltschaft kann das Verfahren einstellen, wenn sie z.B. meint, dass es sich um „Kleinkram“ handelt, bei dem die Schuld des Täters sehr gering ist.
– Andere Einstellungsgründe: Der Verdacht bestätigt sich nicht oder es besteht kein öffentliches Interesse an der Verfolgung der Tat. Es können auch Weisungen und Auflagen auferlegt werden, die bei Befolgung zur endgültigen Einstellung führen.
– Bei Jugendlichen kann eingestellt werden, wenn eine erzieherische Maßnahme oder ein Täter-Opfer-Ausgleich mehr Erfolg als ein Strafverfahren verspricht.
– Im Hauptverfahren finden Beweisaufnahmen und Vernehmung des/der Angeklagten statt. Abschließend bringen die Staatsanwaltschaft und der/die Angeklagten in den Schlussplädoyers ihre Sicht der Tat(en). Nach der geheimen Urteilsfindung wird das Urteil verkündet.
– Im Rechtsmittelverfahren haben die Staatsanwaltschaft (auch zugunsten des/der Verurteilten!) und der/die Angeklagte eine Woche Zeit, Berufung oder Revision einzulegen. Erst nach Ablauf der Frist kann vollstreckt werden (Geld eingefordert oder Haft durchgesetzt).
– Auch nach Rechtskraft eines Urteils ist es möglich, den Prozess „neu aufzurollen“, d.h. eine Wiederaufnahme des Prozesses zu erreichen (§§ 359 ff. StPO). Dazu müssen bestimmte Gründe vorliegen – der bekannteste ist das Auftauchen neuer Beweismittel oder Tatsachen.
Für Ausdauernde: Einzelne Erklärungen
1. Beteiligte eines Prozesses
Die beschuldigte Person: Sie ist Beschuldigter (im Ermittlungsverfahren), Angeschuldigter (im Zwischenverfahren) und Angeklagter (im Hauptverfahren).
Die Staatsanwaltschaft: Sie ist Ermittlungsbehörde für und gegen die beschuldigte Person und übernimmt die Abfassung der Anklageschrift sowie die Rolle der Anklägerin im Hauptverfahren. Die Polizeibeamten sind Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft.
NebenklägerInnen können Verletzte der Tat sein.
Das Gericht: Ob vor dem Amts-, Land-, Oberlandesgericht ( in Berlin heisst das Kammergericht) oder dem Bundesgerichtshof verhandelt wird, entscheidet sich nach der Art der Straftat und der jeweiligen Instanz (Erste Instanz, Berufung oder Revision).
2. Wo steht, wie ein Verfahren abläuft?
Die Strafprozessordnung (StPO) bestimmt z.B. welche Vernehmungsmethoden und Beweismittel zugelassen werden oder wie und wann Anträge von wem zu stellen sind. Hier finden sich bspw. auch Bestimmungen zur Aussageverweigerung oder zu Rechten des Angeklagten.
Die Straftaten, über die im Prozess verhandelt wird, sind im Strafgesetzbuch (StGB) geregelt; das StGB sagt aber nichts über das Verfahren aus. Dann wird z.B. verhandelt über Körperverletzung, §§ 223 ff. StGB.
3. Welches Recht gilt für Jugendliche und Heranwachsende?
Das „normale Erwachsenenprozessrecht“ wird für das Jugendgerichtsverfahren durch das JGG (Jugendgerichtsgesetz) abgeändert und ergänzt. Hier finden sich auch Bestimmungen, wann noch für Heranwachsende (also eigentlich Erwachsene, auf die schon das normale Erwachsenenstrafrecht anzuwenden wäre) das mildere Jugendstrafrecht angewandt wird.
4. Was passiert im Ermittlungsverfahren? Welche Rechte hat der Beschuldigte?
Es beginnt mit dem Ermittlungsverfahren, in dem festgestellt werden soll, ob ein hinreichender Verdacht dafür besteht, daß ein bestimmter Beschuldigter eine strafbare Handlung begangen hat, die dann vor Gericht verhandelt werden soll.
Das Ermittlungsverfahren wird von der Staatsanwaltschaft, i.d.R. durch ihre Ermittlungsbeamten (i.d.R. PolizistInnen) betrieben, indem der Sachverhalt erforscht wird.
Dabei hat sie nicht nur die der Belastung, sondern auch die der Entlastung des Beschuldigten dienenden Umstände zu ermitteln. Dies geschieht u.U. durch die Vernehmung von ZeugInnen und Sachverständigen, aber auch durch die Vernehmung des/der Beschuldigten selbst.
Bei der Erforschung kann es notwendig werden, dass Ermittlungsrichter eingeschaltet werden,
wenn es z.B. um Beschlagnahme, Durchsuchung, Abhörmaßnahmen oder Untersuchungshaft zur Erforschung geht (§ 162 I 1 StPO) .
Der Beschuldigte (später heißt er Angeschuldigter, dann Angeklagter) muss vernommen werden, damit er sich äußern kann. Damit wird ihm der verfassungsrechtlich verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt.
Bei eindeutiger Sachlage genügt es, wenn dem Beschuldigten die Möglichkeit gegeben wird, sich schriftlich zu äußern (§ 163 a I 2 StPO).
Der Beschuldigte sollte die Aufnahme von Beweisen beantragen, die zu seiner Entlastung führen könnten (problemlos möglich während der Vernehmung).
Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. Daneben muß er auf sein Schweigerecht hingewiesen werden (§§ 163 a IV 2 , 136 I 2 StPO; seine Personalien muß er angeben) und auf sein Recht, einen von ihm zu wählenden Verteidiger jederzeit, aber auch schon vor der ersten Vernehmung zu befragen (§§ 163 a IV 2 , 136 I 2 StPO). Die Belehrung muss auch umfassen, dass er das Recht hat, Beweiserhebungen zu beantragen.
Bei der Vernehmung dürfen keine verbotenen Vernehmungsmethoden eingesetzt werden, so darf bspw. niemand gefoltert werden, um eine Aussage zu erhalten (vgl. § 136a StPO).
5. Was passiert nach dem Ermittlungsverfahren? Anklage und Strafbefehl.
Haben die Ermittlungen ergeben, dass ein hinreichender Tatverdacht besteht, wird Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt.Ein hinreichender Tatverdacht loiegt vor, wenn nach dem derzeitigen Stand die Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlicher ist als dessen Freispruch.
Es kann aber auch folgendes passieren:
Ein Strafbefehl wird erlassen, wenn wegen der Eindeutigkeit der Sachlage eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich angesehen wird. Ergebnis eines Strafbefehls kann (im Regelfall) allerdings nicht Freiheitsstrafe sein, sondern bspw. nur Geldstrafe, Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 407 ff. StPO).
Aburteilung im beschleunigten Verfahren ist zulässig, wenn die Sache aufgrund des einfachen Sachverhaltes oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist.
Besonders hier: Es verkürzt sich die Ladungsfrist (Frist, innerhalb derer der Angeschuldigte erscheinen muss) bis zur Hauptverhandlung auf bis zu 24 Stunden! Allerdings darf eine höhere Freiheitsstrafe als ein Jahr oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung nicht verhängt werden ( §§ 417 ff. StPO).
Das vereinfachte Jugendstrafverfahren wird angestrengt, wenn zu erwarten ist, daß Weisungen, Hilfe zur Erziehung oder Zuchtmittel verhängt werden ( §§ 76 ff. JGG; also keine Jugendstrafe). Gegen Jugendliche darf kein Strafbefehl erlassen werden oder ein beschleunigtes Verfahren durchgeführt werden (§ 79 JGG).
Wenn sich bereits im Ermittlungsverfahren ergibt, dass jemand eine Tat im schuldausschließendem Zustandbegangen hat, wird anstatt einer Anklage ein sog. Sicherungsverfahren eingeleitet (§§ 413 ff. StPO). Dann wird jemand in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt untergebracht. Das kann sogar ohne Anwesenheit des Beschuldigten so entschieden werden.
6. Was passiert im Zwischenverfahren?
Die Anklageschrift wird dann dem/der Angeschuldigten zugestellt.
Sie muß die Tat, die zur Last gelegt wird und die entsprechenden rechtlichen Konsequenzen anhand der einschlägigen Strafvorschriften erläutern. Weiterhin sind Beweismittel, das zuständige Gericht, der Verteidiger und die Ermittlungsergebnisse zu nennen.
Steht nach alledem für das Gericht fest, daß die Wahrscheinlichkeit besteht, daß der/die Angeschuldigte eine strafbare Handlung begangen hat und verurteilt werden wird, beschließt es die Eröffnung des Hauptverfahrens ( § 203 StPO).
7. Was passiert im Hauptverfahren – dem eigentlichen „Prozess“?
Der Angeklagten wird zur grds. öffentlichen Hauptverhandlung geladen – er muss immer beim ersten Termin seines Prozesses erscheinen; bleibt er aus, kann er zwangsweise vorgeführt oder verhaftet werden (§ 230 StPO).
Die Hauptverhandlung gegen Jugendliche ist nicht öffentlich (vgl. § 48 I JGG). Bei Heranwachsenden, die ebenfalls nach JGG beurteilt werden, kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse des Heranwachsenden geboten ist (vgl. § 109 I 4 JGG). Hauptverhandlungen gegen Erwachsene sind immer öffentlich. Die Öffentlichkeit kann nur in bestimmten grenzen auf Antrag ausgeschlossen werden.
Der Richter stellt die Anwesenheit des/der Angeklagten, u.U. des Verteidigers und der Zeugen und Sachverständigen fest.
Es folgt die Belehrung der Zeugen und Sachverständigen: Sie werden zur Wahrheit ermahnt und darauf hingewiesen, daß sie ihre Aussage unter Umständen zu beeidigen haben – bei einer Falschaussage können sie sich strafbar machen. Dann haben die Zeugen den Saal zu verlassen, da sie einzeln und in Abwesenheit der später zu hörenden Zeugen vernommen werden müssen.
Dann wird der Angeklagten zur den persönlichen Verhältnissen vernommen:
Name, Adresse, Geburtsort und -datum, Familienstand, Beruf und Staatsangehörigkeit. Zu diesen Angaben ist der Angeklagte verpflichtet.
Daneben wird das Einkommen erforscht. Zu diesen Angaben besteht keine Pflicht, da sie „zur Sache“ gehören und damit vom Aussageverweigerungsrecht umfaßt sind. Der Richter braucht diese Angaben, da er eventuell als Strafe eine Geldbuße festlegen will, die sich am Verdienst des Angeklagten orientiert (das ist der Tagessatz).
Nun verliest die Staatsanwaltschaft den sog. Anklagesatz, in dem die vorgeworfene(n) Tat(en), Zeit und Ort ihrer Begehung und die dadurch erfüllten Strafvorschriften aufgeführt werden.
Belehrung des/der Angeklagten über seine/ihre Aussagefreiheit: Es steht ihm frei, sich zu der Anklage zu äußern. Ohne eine Belehrung über die Aussagefreiheit zustandegekommene Aussagen des/der Angeklagten darf das Gericht nicht berücksichtigen.
Ist der/die Angeklagte bereit auszusagen, so kommt es zur Vernehmung: Sie soll dem/der Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn/sie vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen/ihren Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen (vgl. § 136 II StPO).
Danach folgt die Beweisaufnahme: Das Gericht vernimmt ZeugInnen und Sachverständige und begutachtet andere Beweismittel (Tatwerkzeuge, Fotos, Schriftstücke etc.).
Das geschieht nach der „Freien Beweiswürdigung“: Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Demnach gibt es keine absolute Wahrheit, wie etwas zu beurteilen ist. Es gibt also auch nicht „nur eine Entscheidung“, ein anderer Richter hätte vielleicht anders entschieden.
Abschliesend folgen die Plädoyers: Erst die Staatsanwaltschaft und dann der/die Angeklagte bzw. die Verteidigung erhalten die Möglichkeit, Plädoyers zu halten, d.h. in einer freien Rede darzustellen, wie sie nun die Sache sehen.
Das letzte Wort: Dem Angeklagten gebührt immer das letzte Wort. Dies gilt auch, wenn die Verteidigung für ihn das Plädoyer gehalten hat.
Urteilsfindung: Schließlich zieht sich das Gericht – der bzw. die Richter- zur geheimen Beratung und Abstimmung über das zu fällende Urteil zurück. Angeklagter und Staatsanwaltschaft warten.
Die Hauptverhandlung schließt mit der Verkündung des Urteils. In der sog. Urteilsformel findet sich die Strafvorschrift wieder, durch die der Angeklagte schuldig gesprochen wurde. Weiter wird im Urteil die Rechtsfolge der Tat, also etwa die Anzahl und Höhe der Tagessätze einer Geldstrafe, die Höhe einer Freiheitsstrafe, gegebenfalls auch deren Stafaussetzung zur Bewährung festgesetzt. Eine Geldstrafe beträgt – in der Regel – mindestens fünf und höchstens 360 Tagessätze (Einkommen, das man an einem Tag hat), vgl. § 40 StGB.
8. Ende? „In Berufung gehen“ und Revision
Das Urteil der ersten Instanz (meistens wohl Amtsgericht) kann innerhalb einer Wochenfrist angegriffen werden durch eine Berufung. Das dann entstehende Urteil der zweiten Instanz (nach dem Amtsgericht das Landgericht) kann mit der Revision angegriffen werden. Man kann im Wege einer sog. Sprungrevision auch gleich Revision gegen das Urteil eines Strafrichters oder Schöffengerichts einlegen. Im Unterschied zur Berufung findet bei einer Revision leidglich die Überprüfung auf Verfahrenshindernisse oder Verfahrensfehler statt. Eine erneute Beweisaufnahme erfolgt nicht. Bei einer Berufung hingegen erfolgt eine konplett neue Verhandlung mit Beweisaufnahme vor der nächsthöheren Instanz. Daher ist oftmals eine Berufung günstiger für den Angeklagten.
Alle Rechtsmittel stehen der Staatsanwaltschaft (auch zugunsten des Angeklagten) und dem Angeklagten selbst zu und werden beim Gericht der anzufechtenden Entscheidung eingelegt.