Straßensozialarbeit in Berlin

„Wenn man etwas will, dann muss man daran glauben!“ – Interview ║ Teil 2

Ein Gespräch über Flucht und Zukunft

Türkei → Griechenland → Mazedonien → Serbien → Ungarn → Österreich → München

 

Mushtaba: Der Abschnitt Türkei – Griechenland war einer der Schwersten. Ich bin über Istanbul nach Izmir gefahren, was an der Küste liegt. Der Plan war, mit dem Schlauchboot über das Mittelmeer und in Griechenland an Land zu gehen. Es hat insgesamt vier Monate und vierzehn Versuche gebraucht, bis mir dies gelungen ist. Entweder war der Motor vom Schlauchboot defekt oder die Polizei kam und wir mussten schnell weglaufen, um nicht verhaftet zu werden.

An dem Tag, an dem wir erfolgreich waren, waren wir 36 Personen an Bord eines sechs Meter langen Schlauchbootes. Wir waren ca. eine Stunde auf See als wir auf die griechische Marinepolizei trafen, die uns ans Land brachte.

In Istanbul hatte ich eine Frau mit ihrer Tochter getroffen, deren Ziel auch Deutschland war. Sie sah, dass ich alleine war und sagte: „Wir können zusammen reisen, wenn du willst, und uns gegenseitig helfen, wenn es Probleme gibt“. Wir sind zusammen nach Griechenland und von dort weiter bis nach Deutschland, immer zusammen. Maryam[1] hat auf mich aufgepasst wie eine Mutter. Ich nannte sie auch Mutter, und sie mich Sohn. Das war sehr schön. Wir haben uns gegenseitig geholfen.

In Griechenland angekommen sind wir von morgens bis abends gelaufen.
Auch die schwangeren Frauen und Kleinkinder! Ich habe gesehen, wie eine Frau mit ihrem Kind auf den Bahngleisen gelaufen ist. Es gibt keinen anderen Weg und wenn der Schleuser ruft, „Achtung, die Bahn kommt!“, dann muss man schnell reagieren. Doch bepackt mit Kind und Taschen hat es die Frau nicht geschafft, schnell genug von den Gleisen runterzukommen. Der Zug hat sie und das Kind mitgerissen.
Ich habe viele Menschen gesehen, die gestorben sind. Eine ist krank geworden und … (Mushtaba schweigt).

Wir wollten nach Mazedonien, aber die mazedonische Polizei ließ uns nicht durch. Kaum hatten wir die Grenze überquert, drängte uns die mazedonische Grenzpolizei nach Griechenland zurück. Erst nach zwei Monaten und mehreren Versuchen ist es uns gelungen, an der Grenzpolizei vorbei ins Inland zu gelangen.

Die Zeit in Mazedonien war sehr, sehr schwer. Die Grenze zu Serbien war zu und wir haben zwei Monate draußen im Wald leben müssen. Es war Winter. Es hat jeden Tag geregnet und es war immer kalt.

 

Gangway: Habt ihr euch im Wald versteckt?

Musthaba: Nein, es war ja allen bekannt, dass wir im Wald waren. Es gingen ja regelmäßig viele Menschen vom Wald in den nahe gelegenen Supermarkt. Wir haben unserer Handys dort geladen und Essen eingekauft.

Während dieser zwei Monate hat mich mein Vater immer wieder angerufen und gesagt: „Mein Sohn, wenn du das nicht schaffst, dann geh zurück zu deiner Tante in die Türkei. Und wenn deine Tante dann später nach Deutschland reist, begleitest du sie.“ Ich habe das abgelehnt und gesagt: „Ich schaffe das. Ich erreiche mein Ziel.“ – Das hab ich auch! (Mushtaba grinst breit.)

 

Gangway: Hattest du gar keine Angst?

Mushtaba: Naja – nichts ist schlimmer als Afghanistan!

Und weißt du, wenn man denkt, man kann es nicht schaffen, dann schafft man es auch nicht. Wenn man etwas will, dann muss man daran glauben.

Nach zwei Monaten konnten wir endlich weiter nach Serbien und von dort nach Ungarn. In Ungarn hat man uns alle unsere Sachen weggenommen. Die Polizei hat uns einen Tag festgehalten. Dann hat sie uns eine Adresse und ein Ticket in die Hand gedrückt und wir sind mit der Bahn in ein Flüchtlingsheim gefahren.
Nach zwei Wochen hat uns ein Mann gegen Geld über die Grenze nach Österreich und weiter nach Deutschland gefahren. Er ließ uns in München raus. Doch ich wollte nach Frankfurt, in die Nähe meines Onkels. Also kauften wir Zugtickets nach Frankfurt und setzten unsere Fahrt fort.

 

+++ Fortsetzung folgt +++

Lies morgen in Teil 3, wie Mushtaba in Berlin ankommt.

 

[1] Name wurde geändert