Erläuterungen zum Gesetz – wann ist eine Körperverletzung „schwer“?
Zum Besseren Verständnis: Gesetzestext
§ 226 StGB Schwere Körperverletzung
(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, dass die verletzte Person
1. das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2. ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3. in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
Für Eilige: Kurzfassung
- Neben dem Verlust des Sehvermögens, des Gehörs und der Sprache geht es um den Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit, damit sind die männliche Zeugungsfähigkeit und die weibliche Empfängnisfähigkeit gemeint.
- Wichtige Glieder sind Arme, Beine, Füße und zweifelsohne Daumen und Zeigefinger, aber keine inneren Organe.
- Eine Entstellung meint eine Verunstaltung der Gesamterscheinung, also eine ästhetisch erheblich nachteilige Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes. Wenn sie auf eine dem Opfer zumutbare Weise kosmetisch-operativ beseitigt werden kann, scheidet eine Entstellung aus.
- Ein höheres Mindeststrafmaß hat der Absatz 2: Hier kommt es dem Täter gerade auf die schwere Verletzung an (absichtlich) oder er sieht sie als sicher voraus (wissentlich).
- Ein minder schwerer Fall gem. Abs. 3 liegt z.B. vor, wenn der Täter vom Opfer provoziert worden ist.
Für Ausdauernde: einzelne Erklärungen
1. Worum geht es bei diesem Delikt?
Im Gegensatz zur gefährlichen Körperverletzung, wo es um die Art und Weise der Tatbegehung geht, geht es bei der schweren Körperverletzung um die schweren Folgen der Tat.
Die für die Verwirklichung dieser Qualifikation nötigen schweren Folgen werden in Abs. 1 Nr. 1-3 StGB abscchließend aufgezählt.
2. Erläuterungen der Begriffe – wann ist die Körperverletzung „schwer“?
2.1 Verlust des Sehvermögens, des Gehörs, des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit
Sehvermögen ist die Fähigkeit, Gegenstände visuell wahrzunehmen. Nach der Rechtsprechung ist dies bereits bei einer Reduzierung des Sehvermögens auf 2-10% anzunehmen. Der Verlust des Sehvermögens entfällt nicht dadurch, dass ein Sehvermögen durch technische Mittel (teilweise) wieder erreicht wird.
Der Verlust des Gehörs ist der Verlust der Fähigkeit, artikulierte Laute zu verstehen (Taubheit).
Sprechvermögen ist die Fähigkeit, sich zu artikuliertem (!) Reden (Stummheit) – ist jemandem der Kiefer zertrümmert und schief zusammengewachsen, redet er deswegen „verwaschen“, kann es sich um einen Verlust des Sprechvermögens handeln.
Fortpflanzungsfähigkeit ist die Zeugungsfähigkeit des Mannes und die Empfängnisfähigkeit der Frau. Die Fähigkeit ist verloren, wenn sie wesentlich, also nicht unbedingt vollständig, aufgehoben ist, der Ausfall langzeitig ist und die Heilung entweder gar nicht oder doch auf unbestimmte Zeit nicht absehbar ist.
2.2 Verlust oder dauernde Gebrauchsunfähigkeit eines wichtigen Gliedes
Wichtige Glieder sind die Extremitäten des Körpers, also Hände, Beine, Arme, bei Fingern wird differenziert. Uneinigkeit bei den Gerichten besteht über die Bedeutung der Finger: Daumen und Zeigefinger sind zweifellos für jeden Menschen ein wichtiges Glied, so aber nicht unbedingt der Ringfinger. Das Ergebnis hängt also vom Einzelfall ab.
Nicht notwenidg muss das Glied durch ein Gelenk mit dem Körper verbunden sein, daher ist auch die Nase oder die Ohrmuschel ein Glied. Innere Organe sollen keine wichtigen Glieder sein.
Verloren ist das Glied nicht nur bei tatsächlicher Abtrennung vom Körper (auch medizinisch erforderlicher Amputation), sondern auch bei dauernder Gebrauchsunfähigkeit, z.B. bei völliger Versteifung eines Gelenks.
2.3 Dauernde Entstellung
ist eine erhebliche Verunstaltung der Gesamterscheinung des Opfers. Eine solche ist auch gegeben, wenn sie üblicherweise an einer Stelle des Körpers ist, die von Kleidung u.ä. verdeckt wird.
Beispiel: Gegen den Bauch zerfurchende Narben kann man also nicht einwenden, dass sie keine Entstellung sind, weil das Opfer ja üblicherweise Kleidung trägt. Dagegen muss die Entstellung aber dauernd sein, d.h. wenn etwa Narben o.ä. in absehbarer Zeit auf eine dem Opfer zumutbare Weise kosmetisch-operativ beseitigt werden können, liegt keine dauernde Entstellung vor (so auch bei Zahnersatz). Wenn das Opfer diese Operationen nicht ausführen lässt, obwohl sie möglich sind (es bekommt sie bezahlt!), soll das dem Täter nicht angelastet werden.
2.4 Verfallen in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung
Siechtum ist ein chronischer Krankheitszustand, der den ganzen Organismus in Mitleidenschaft zieht und ein Schwinden der körperlichen und geistigen Kräfte zur Folge hat. Beispiel: Von einem Raubüberfall erholt sich das 60-jährige Opfer nicht vollständig. Aufgrund seiner erlittenen Verletzungen bleiben chronische Schmerzen. Das Opfer wird bettlägerig und pflegebedürftig.
Lähmung ist die erhebliche Bewegungsunfähigkeit eines Körperteils, die den ganzen Körper in Mitleidenschaft zieht.
Geistige Krankheiten oder Behinderung umfassen nicht nur endogene oder exogene Psychosen, sondern auch Intelligenzdefekte.
3. Absichtlich und wissentlich (Abs. 2)
„Absichtlich“ bedeutet, dass der Täter handelt, um gerade diese schwere Folgen herbeizuführen, die sein vorgestelltes Ziel sind – nur darum geht es ihm.
„Wissentlich“ handelt jemand, der sicher die Möglichkeit voraussieht, dass ein schwerer Schaden für das Opfer eintreten kann – und trotzdem handelt.
Die Strafe wird in diesen fällen deutlich härter, nämlich mindestens drei Jahre.
4. Minder schwere Fälle (Abs.3)
Ein minder schwerer Fall (Absatz 3) ist z.B. gegeben, wenn der Täter vom Opfer provoziert wurde und daraufhin die Körperverletzung begangen wurde. Ansonsten kommt es auf den Einzelfallauf die Gesamtwürdigung aller Umstände an. Die schuldmindernden Umstände müssen in ihrem Gewicht insgesamt einer Affektlage gleichkommen, so zB. bei Vorliegen eines seelischen Ausnahmezustandes.