Das Telefon klingelt. Am anderen Ende der Leitung hört man eine deutlich auf erwachsen verstellte Stimme: „Hallo. Hier ist die Polizei.“ Schmunzelnd entgegne ich dieser Ansage. „Oh, das ist ja ne Überraschung. Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?“ – „Wann öffnen sie wieder die Halle?“ – „Welche Halle? Keine Ahnung wovon Sie sprechen.“ Nun mischt sich eine weitere, bekannte Stimme von einem Jugendlichen aus dem Hintergrund laut mit ein: „Öffnet endlich die Halle! Wir wollen wieder Fußball spielen. Ich schwör, wenn ihr die Halle nicht bald öffnet, dann stürmen wir sie und machen sie selber auf!“
Nach diesem lustigen Anfangsdialog mit den falschen Polizisten, blieb uns im Team –mal wieder- nichts Anderes übrig, als auf die Corona-Verordnungen hinzuweisen, und die Jugendlichen –mal wieder- auf einen unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu vertrösten. Seit März 2020 nun gibt es für uns keine Möglichkeit mehr, regelmäßig mit unserem Fußball-Team, welches als „Schöneberg United“ auch Street League Teilnehmer ist, zu trainieren.
Dabei war es eine lange Entwicklung, welche diese Mannschaft hinter sich gebracht hat. Die gute Nachricht vorweg: auch nach über 14 Monaten ohne regelmäßiges Trainingsangebot, hält der Kern der Gruppe fest zusammen. 16 männliche Jugendliche, darunter Teilnehmer des ersten Gangway Fußball-Camps 2018 und ein überwiegender Teil von Jugendlichen eine Fluchtgeschichte mit sich bringt. Des Weiteren auch Jugendliche aus Schöneberg, die hier geboren und aufgewachsen sind. Das Bestehen dieses Teams erinnert uns als Streetworker*innen immer wieder, wie wichtig Sportangebote für unsere Tätigkeit sind. Junge Menschen, denen das regelmäßige Trainieren in Sportvereinen oft sehr schwer fällt, da die Hürden und die Anforderungen in solchen Vereinen extrem hochschwellig sind, haben mit großer Freude an unserem wöchentlichen Training teilgenommen. Die Trainingsmöglichkeit und das Gemeinschaftsgefühl welches damit einhergeht, fehlt. Es fehlt extrem. Den Jugendlichen und auch uns. Wir können nicht mal ansatzweise zählen, wie oft die Frage „Wann ist wieder Fußball?“ uns in den letzten 14 Monaten gestellt wurde.
Was als chaotische Fußball-Truppe begann, wo jede*r zu jeder Zeit an jedem Ort dem Ball auf dem Spielfeld hinterherjagte, und temperamentvolle Konflikte samt beleidigenden Ausrufen häufig auf der Tagesordnung standen, nahm im Verlauf der Zeit eine spannende Entwicklung, hin zu echter Gemeinschaft.
Durch unzählige Gespräche vor Trainingsbeginn oder am Spielfeldrand, durch Sitzkreise, um über Wahrnehmungen und Gefühle zu sprechen, mit Kleingruppengesprächen, um Perspektiven auszutauschen und den Blick auf seine*n Gegenüber – wir fanden Lösungen. Für Missverständnisse, die man gemeinsam ausräumte. Für empfundene Verletzungen. Für die Sprache, die sich von einem beleidigenden Grundton in ein respektvolleres Miteinander änderte. Vorurteile, die Freundschaftsbanden und der gegenseitigen Wertschätzung immer mehr Platz machten. Und einem Fußballspiel, das vielleicht nicht erfolgreicher, aber zumindest etwas ansehnlicher wurde.
Es waren auch Schicksalsschläge, die diese Mannschaft noch enger zusammenbrachte. Über Religionen und verschiedener Lebenswelten hinaus. Der Tod eines wichtigen Mitspielers und so guten, jungen Menschen führte uns alle in ein tiefes Loch, aus dem wir –bei all der schweren Trauer- herauskamen. Gemeinsam herauskamen. Und vereinter als zuvor. Dass sich im Laufe der Jahre auch immer mehr in Schöneberg geborene Jugendliche unserem Team anschlossen, zeigte deutlich, wie dringlich der Bedarf eines niedrigschwelligen Sportangebotes ist. Begegnungen vor– , im–, und nach dem Training zu schaffen, um Jugendliche aus verschiedenen Lebenswelten zusammenzubringen, um zusammen zu entdecken, dass die Unterschiede nicht allzu groß sind und die Gemeinsamkeiten überwiegen – Das ist es, was dieses Sportangebot so immens wichtig macht.
Es ist klar, dass uns allen in der augenblicklichen Situation die Hände gebunden sind. Hallensport bleibt auf unabsehbare Zeit nicht erlaubt. Die Hoffnung, dass man bei lockernden Maßnahmen im Sommer vielleicht wieder etwas Regelmäßigeres im Freien anbieten kann ist natürlich da. Und dass jetzt auch (kontaktfreier) Sport mit bis zu 10 Teilnehmer*innen möglich ist, zeigt auch in die richtige Richtung. Aber solch temporären Behelfslösungen ersetzen nur bedingt die Regelmäßigkeit und Struktur, die ein fester Termin, an einem festen und sicheren Ort in der Woche mit sich bringt. Im Team beobachten wir mit Sorge, wie sehr die Jugendlichen seit Beginn des Lockdowns durch das Fehlen dieses Trainingsangebotes leiden. Wobei ihnen nicht nur das gemeinsame Fußballspielen fehlt, sondern das Gefühl dieser außergewöhnlichen Gemeinschaft. Das gemeinsame Lachen. Das gemeinsame Aufregen über „Ego-Zocker“ oder über die Schule. Das gemeinsame Diskutieren über flirty-mirty Themen im Teenage-Alter. Und das gemeinsame Planen, wie man denn endlich den heiß ersehnten Street League Pokal gewinnen kann. Das alles fehlt ihnen. Sehr.
Wir hoffen inständig, dass diese ermüdende Zeit bald enden wird und endlich wieder Sportangebote in der Halle möglich sein werden. Wir hoffen ebenfalls , dass den Verantwortlichen auf der politischen Entscheidungsebene deutlich(er) wird, wie wichtig Sportangebote für Jugendliche sind. Auch, wenn diese nicht im Leistungssport verortet sind. Und dass diesen Bedarfen der Kids ein extra großes Gehör geschenkt werden sollte. Damit wir uns alle wieder an diesen großen Dramen im Kleinen erfreuen können.
„Wieso hast Du nicht gepasst? Ich stand total frei!“ – „Ich wollte doch passen!“ – „Ich wollte, ich wollte. Wieso hast Du dann nicht?“ – „Keine Ahnung, ich wollte!“
Ja, das Fußballspielen fehlt. Uns allen. Wie der fehlende Pass.