Straßensozialarbeit in Berlin

Nochmal davongekommen! – Einstellung des Verfahrens und Bagatellsachen

Keine Bestrafung des Täters, wenn es eine Bagatelle ist oder er den Schaden anderweitig wieder gut macht, Erklärung zu den §§ 153, 153a StPO

Zum Verständnis: Gesetzestext in Auszügen

§ 153 StPO Absehen von Verfolgung wegen Geringfügigkeit

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichts bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. (…) Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

§ 153 a StPO, Vorläufiges Absehen von Klage; vorläufige Einstellung

(1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Als Auflagen oder Weisungen kommen insbesondere in Betracht,

1. zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine bestimmte Leistung zu erbringen,

2. einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen,

3. sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen,

4. Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe nachzukommen,

5. sich ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich) und dabei seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gut zu machen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben, oder

6. an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder

7. an einem Aufbauseminar nach § 2b Abs. 2 Satz 2 oder an einem Fahreignungsseminar nach § 4a des Straßenverkehrsgesetzes teilzunehmen.

(…)
(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren bis zum Ende der Hauptverhandlung, in der die tatsächliche Feststellung letztmals gerprüft werden können, vorläufig einstellen und zugleich dem Angeschuldigten die in Absatz 1 Satz 1 bezeichneten Auflagen und Weisungen erteilen.
(…)

 

Für Eilige: Kurzfassung

  • Ein Ermittlungsverfahren muss nicht immer zu einer Gerichtsverhandlung führen. Wenn es sich um Bagatellen handelt, oder der Täter eine Wiedergutmachung auf andere Weise erreicht, kann das Verfahren eingestellt werden.
  • Gründe für eine Einstellung: Bagatellsache, z.B. Diebstahl einer geringwertigen Sache, Verstoss gegen Angelverbot und die Schuld des Täters ist sehr gering, so z.B. bei leichter Fahrlässigkeit, Handeln in Verwirrtheit.
  • Wiedergutmachung des Schadens kann z.B. durch gemeinnützige Arbeit, Geldzahlung an gemeinnützige Projekte oder Entschuldigung bei dem Geschädigten erreicht werden.
  • Aber es ist immer Voraussetzung, dass es sich bei der Straftat um ein Vergehen und nicht um ein Verbrechen handelt (Verbrechen sind Taten, für die das Gesetz eine Mindeststrafe von einem Jahr vorsieht, § 12 StGB).
  • Kommt der Täter einer solchen Auflage, z.B. gemeinnützige Arbeit, nicht nach, kann das Verfahren wieder aufgenommen werden und es folgt eine „normale“ Hauptverhandlung.

Für Ausdauernde: Einzelne Erklärungen

1. „Verfahrenseinstellung“ – worum geht es dabei?

Es kommt zu einer Strafanzeige und Polizei sowie Staatsanwaltschaft ermitteln. Danach muss es nicht unbedingt zu einer Verhandlung kommen, sondern das Verfahren kann auch eingestellt werden. „Kann“ heißt, dass der Beschuldigte darauf keinen Anspruch hat – juristisch spricht man vom „Opportunitätsprinzip“, d.h. die Einstellung liegt im Ermessen des Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft.

Es gibt verschiedene Gründe, die zur Einstellung führen können. Geregelt sind sie in den §§ 153 ff. der Strafprozessordnung, StPO. Die wichtigsten sind dabei die §§ 153 und 153a StPO.

Bei § 153 StPO liegt eine Bagatelle, eine Kleinigkeit vor – wohingegen bei § 153a StPO eingestellt wird, weil der Beschuldigte als Buße gemeinnützig arbeitet, sich beim Opfer entschuldigt oder ähnliches; Voraussetzung aber auch hier ein Vergehen (s.o.).

2. Was ist „geringe Schuld und kein öffentliches Interesse“? – Bagatellen nach § 153 StPO

Was Schuld ist, ob sie „hoch“ ist oder nicht steht nicht im Gesetz – es gibt keine allgemeinen Richtlinien. Dies ist eine Frage des Einzelfalles und der tatsächlichen, richterlichen bzw. staatsanwaltlichen Einschätzung.

Hier Beispiele für geringe Schuld: Leichte Fahrlässigkeit, Verkettung von „unglücklichen“ Zusammenhängen, Handeln in nachvollziehbar entstandenen Affektsituationen oder Handeln aufgrund von Anstiftung durch eine andere Person (bei keinen schwerwiegenden Delikten). Oder: Angeln ohne Angelschein, ohne dass mehr als ein Fisch angebissen hat; Beleidigung mit „Sie Trampel!“, wenn man angerempelt wurde.

Es besteht grundsätzlich ein öffentliches, d.h. staatliches Interesse an der Verfolgung und Bestrafung von Straftaten, denn: Kriminalität soll sich nicht lohnen.
Andererseits muss das Vorgehen des Staates gegen jemanden auch „verhältnismäßig“ sein, das heißt, der Aufwand darf nicht den Rahmen sprengen: Der Diebstahl oder die Unterschlagung einer geringwertigen Sache (also bis ca. 50 €) wird in der Regel nur auf Antrag verfolgt, d.h. es besteht an sich kein staatliches Verfolgungsinteresse, es sei denn, die Staatsanwaltschaft hält ausnahmsweise ein Einschreiten von Amts wegen doch für geboten (§ 248a StGB; z.B. bei gewerbsmäßigen Diebstählen geringwertiger Sachen). Wenn die Staatsanwaltschaft diese Möglichkeit hat, spricht man von einem sog. „relativen Antragsdelikt“.
Anders ist es bei einem Diebstahl oder einer Unterschlagung einer geringwertigen Sache innerhalb einer Familie. Gemäß § 247 StGB wird dies auch nur verfolgt, wenn jemand einen Antrag auf Verfolgung stellt. Allerdings sieht das Gesetz keine Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft zur Verfolgung bei Bestehen eines öffentlichen Interesses vor. Dann spricht man von einem sog. „absoluten Antragsdelikt“.

3. Zustimmung zur Einstellung – Staatsanwaltschaft und Gericht müssen wollen

Will die Staatsanwaltschaft einstellen, muss der Richter zustimmen; will der Richter einstellen, muss die Staatsanwaltschaft zustimmen.

Ist aber schon das Hauptverfahren eröffnet – hat also schon eine Verhandlung vor dem Gericht stattgefunden – muß zusätzlich noch der/die Angeklagte zustimmen. Warum?

Das hat den Sinn, daß der Angeklagte durchaus von seiner Unschuld überzeugt sein kann und diese auch in einem durchgeführten Prozess herausstellen will. Diese Möglichkeit soll ihm gegeben werden, wenn er bereits durch die Klageerhebung mit einem „Makel“ behaftet ist (ein Freispruch ist mehr wert als eine Einstellung).

4. Den Schaden anders wieder gutmachen – „Auflagen und Weisungen“ nach § 153a StPO

Wiedergutmachung und eine bestimmte Leistung: Bei Sachbeschädigung repariert z.B. der Täter die zerstörte Sache, überstreicht sein Graffitti. Bei einer Beleidigung schreibt der Täter einen Brief, in dem er erklärt, dass die Ehrverletzung keine Grundlage hat und kann u.U. dazu verpflichtet werden, den Brief in einer Zeitung zu veröffentlichen.
Daneben kann auch für soziale Projekte gezahlt werden oder für diese Projekte im Rahmen von „Sozialstunden“ gearbeitet werden. Allerdings wird in der Praxis oftmal die Zahlung eines gewissen Betrages an die Landeskasse oder eine gemeinnützige Einrichtung auferlegt. Das fällt dann nicht unter die „Wiedergutmachung“ des § 153a Abs. 1 Nr. 1 StPO.

Besonders geregelt ist der sog. TOA, der Täter-Opfer-Ausgleich. Das kann ein klärendes Gespräch mit dem Geschädigten sein. Genaueres dazu findet sich unter „Täter-Opfer-Ausgleich: Versöhnen statt strafen?“

5. Ist die Sache damit „endgültig“ vom Tisch?

Sofern die Auflage oder Weisung innerhalb der gesetzten Frist erfüllt wurden, wird das Verfahren endgültig eingestellt.
Wenn der Täter der Auflage oder Weisung innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkommt, also z.B. die Sache nicht repariert, sich beim Beleidigten nicht entschuldigt, dann wird das Verfahren wieder aufgenommen und es kann zu einer Hauptverhandlung kommen mit einem Urteil und einer Strafe.(vgl. § 153a Abs. 1 S. 3 StPO). Dabei ist wichtig, dass bereits geleistete Teilzahlungen nicht erstattet werden (§ 153a Abs.1 S.6 StPO).