Straßensozialarbeit in Berlin

Mickies Praktikumsbericht

Einblick in ein dreimonatiges Praktikum im Team Treptow-Köpenick

Laute Musik schallte aus den Autolautsprechern als wir auf der Schnellstraße durch Spindlersfeld rasten.

„…Mit dir ohne Führerschein Richtung Mittelmeer fahr´n, Fenster auf und fahr´ die Küste lang…“

Die Fenster waren heruntergekurbelt und der Fahrtwind schlug uns warm ins Gesicht.

„…Bieg´ ab an die Küste, seh´ das Meer nach langer Zeit wieder, Deshalb fahr´ ich mit mein´  Wagen und nehm´ kein´n Flieger, doch egal, wohin ich geh´, ich vermiss´ meine Stadt…“

Eine ausgelassene Sommerferienstimmung breitete sich aus und ich hörte das Kreischen der Möwen und bildete mir ein hinter der Schallschutzwand das Meer zu erkennen. Doch wir waren immer noch in Köpenick, auf dem Weg zum Go Kart fahren in Brandenburg. Dieser Ausflug war echt ein tolles Erlebnis in meinem Praktikum bei Gangway.

Bei der Teamsitzung, nach einem ausgiebigen Frühstück und Austausch über die letzten Tage, wurde der Plan für diese kommende Woche erstellt: Montag EF um 14 Uhr, dann die Regio 2 am Donnerstag um 10:30 und am Mittwoch ist JHA … Bei mir bildeten sich lauter Fragezeichen im Kopf, die mir meine Kolleg*innen bestimmt ansehen konnten, aber ich wurde schnell aufgeklärt, was die ganzen Abkürzungen bedeuten.

„EF“ steht für Einzelfall

Oft treten Jugendliche mit konkreten Problemen an Gangway heran. Sie brauchen Hilfe beim Ausfüllen vom Bürgergeldantrag, bei Bewerbungsschreiben oder der Wohnungssuche. Auch kristallisieren sich bei intensiveren Gesprächen oder im Gruppenkontext Schwierigkeiten in der Familie oder Beziehungen heraus. Manchmal ist es aber auch etwas Greifbares, wie zum Beispiel einen Noteinkauf ausgeben oder eine Fahrt zur BSR, um Sperrmüll wegzubringen. Es war schön, wie offen die jungen Menschen mit mir umgegangen sind und meine Meinung und Hilfe wertgeschätzt haben.

Ein Bezirk fünf Regionen

Außerdem lerne ich, dass Treptow-Köpenick in 5 Regionen unterteilt ist. In jeder Region gibt es monatliche Treffen, bei denen sich über Belange in den Kiezen ausgetauscht wird und in verschiedenen Unter- und Übergruppen und AGen gemeinsame Projekte entwickelt werden. Der Jugendhilfeausschuss (JHA) ist die Institution, wo Politiker*innen und andere Entscheidungsträger*innen aus dem Bezirk zusammenkommen um auf bezirkspolitischer Ebene  Entscheidungen zu treffen, die Auswirkungen auf „unsere“ Jugendlichen haben können.

Workshops und Fachtage

Auch über die Gremienarbeit und Einzelfallhilfe hinaus hatte ich die Möglichkeit an Workshops und Fachtagen teilzunehmen. Dort habe ich Einblick in die Themen Umgang mit der Polizei, Selbstfürsorge, Wohn- und Suchthilfesystem in Berlin, Gestaltung des öffentlichen Raumes in Treptow-Köpenick, Rechtsextremismus und TikTok bekommen. Natürlich habe ich nicht nur Workshops besucht.

Auf den Straßen TK‘s

Wir waren viel auf den Straßen unterwegs und wo es Jugendliche sonst so hin verschlagen könnte. Auf Rundgängen habe ich den Bezirk mit seinen Shoppingmalls, Spiel- und Sportplätzen, Badestellen und Lost Places noch einmal ganz neu kennengelernt. So zum Beispiel im Mai:

Durch ein Loch im Zaun stiegen wir auf das große zu gewucherte Gelände. Ein paar heruntergekommene Baracken, eine Sporthalle und ein großes Lager- oder Fabrikgebäude waren zwischen Bäumen zu erkennen. Weit und breit sahen wir jedoch keine Menschenseele. Nach etwas rumstromern raschelte plötzlich etwas. Doch ein Mensch? Der Sicherheitsdienst? Nein, ein ausgewachsenes Wildschwein, das keine 10 Meter entfernt an uns vorbeitrottete.

Oder bei einer spontanen Fahrradtour bei gutem Wetter nach Grünau zu den Badestellen und einem Rundgang in Friedrichshagen. Das fühlt sich an wie Urlaub. Doch die Stories die mir erzählt wurden, klingen nicht nach Urlaub und wir hielten immer wieder Ausschau nach auffälligen oder bekannten Jugendgruppen und rechtsextremen Stickern und Graffiti, die dort wohl häufig aufgetaucht sein sollen, aber alles war ruhig.

Essen, essen, immer wieder essen

Ein weiterer großer und spannender Teil der Arbeit waren die Gruppenaktionen. Oft sind wir mit den Jugendlichen Essen gegangen und sie konnten sich wünschen worauf sie Lust haben. Von Burger essen, Grillen und Vietnamesische Küche war alles dabei und es war schön über ein gemeinsames Essen ins Gespräch zu kommen.

Wir saßen in einem Restaurant, bestellten viel zu viel und es wurde über das neue TikTok Video geredet, das wohl alle aus der Gruppe gesehen hatten. Dabei ließen sie keine Schimpfwörter aus und redeten in einem Ton, an den ich mich mittlerweile ganz gut gewöhnt habe. Dann wurde auch schon wieder das Thema gewechselt und eine Jugendliche erzählte über Rassismus an der Schule und wie unfair die Lehrkräfte sind. Danach gab es noch Fragen über die anstehende Fahrt. So viele alltägliche Situationen und Lebenswelten in nur anderthalb Stunden beim Essen. Wie viel die jungen Menschen erzählen und wie der Umgang untereinander ist, zeigt mir, wie gut sich alle kennen und was sie schon alles zusammen durchgemacht haben.

In den letzten drei Monaten habe ich den Bezirk mit seinen Menschen und Institutionen echt noch einmal anders kennengelernt und einen guten Einblick in die Straßensozialarbeit bekommen. Das Praktikum hat mir eine konkrete Zukunftsperspektive gegeben und ich freue mich, dass ich überall mit offenen Armen empfangen wurde.