Straßensozialarbeit in Berlin

Jedes Jahr sterben zahlreiche obdachlose Menschen auf den Straßen Berlins. In vielen Fällen geschieht dies leise, einsam und anonym – unbemerkt von der Umgebung, den Orten und der Nachbarschaft, an denen sie sich teils über lange Zeit aufhielten. Es fällt oft erst auf, wenn sie plötzlich fehlen und nicht mehr an den gewohnten Plätzen sitzen.

Diese Tode sind nicht einfach Schicksal – viele von ihnen wären vermeidbar. Niemand ist wirklich freiwillig obdachlos oder wählt die Härte des Lebens auf der Straße aus freiem Willen. Es ist häufig eine Entscheidung zwischen schlechten und noch schlechteren Optionen: Viele Menschen ziehen die Kälte den überfüllten Notunterkünften oder den oft entwürdigenden Zuständen in Sammelunterkünften vor, wo es an Privatsphäre, Sicherheit und Menschlichkeit mangelt.

Hinzu kommt der fehlende Zugang zu medizinischer Versorgung. Aus unbehandelten Wunden werden schwere Infektionen, aus einer Erkältung eine Lungenentzündung. Der Weg zu Entzug oder Substitution ist mit Hürden und bürokratischen Barrieren verbunden oder für viele sozialrechtlich gar nicht möglich – oft bleibt nur der gefährliche Selbstentzug oder die weitere Abhängigkeit. Zudem werden obdachlose Menschen immer wieder Opfer von Gewalt – das Ergebnis eines menschenfeindlichen Weltbildes.

Besonders erschütternd ist der Umgang mit dem Versterben dieser Menschen. Auch in diesem Jahr waren wir als Streetworker:innen häufig mit dem Tod auf der Straße konfrontiert. Oft bleibt unklar, wann und wo eine Bestattung stattfindet. Nicht selten geschieht diese anonym – eine schlichte ordnungsrechtliche Beerdigung, veranlasst von den Behörden, ohne Angehörige, ohne Freund:innen, ohne letzte Worte. So bleibt den Weggefährt:innen, Sozialarbeiter:innen und Bekannten kein Ort des Abschieds, kein Raum für Trauer.

Diese Gleichgültigkeit ist Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Haltung, die Obdachlosigkeit weiterhin als individuelle Schicksale behandelt – als etwas, das „eben passiert“, aber nicht als das, was es ist: ein strukturelles Versagen und eine Frage der Menschenwürde. Wenn Menschen auf der Straße sterben, mitten in einer wohlhabenden Stadt wie Berlin, dann ist das kein Naturereignis – es ist die Konsequenz gesellschaftlicher und politischer Entscheidungen.

Bis heute gibt es in Berlin keinen offiziellen Ort des Gedenkens an verstorbene obdachlose Menschen. Mit den Gedenktafeln möchten wir an sie erinnern – an jene, die auf der Straße lebten und auf der Straße starben. Wir möchten sichtbar machen, was sonst unsichtbar bleibt, und ein Zeichen setzen gegen die Gleichgültigkeit. Jeder Mensch verdient Würde – im Leben und im Tod.