Während des Ermittlungsverfahrens kann es dazu kommen, dass der Beschuldigte verhaftet wird und in Untersuchungshaft kommt. Was bedeutet das?
Die Untersuchungshaft ist im Wesentlichen dazu da, den weiteren Ablauf des Strafverfahrens und die spätere Vollstreckung eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils sicherzustellen.
Zum Verständnis der Gesetzestext:
§ 112 StPO
(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
(2) Ein Haftgrund besteht, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen
1. festgestellt wird, dass der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2. bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3. das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a) Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b) auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c) andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.
Der Verhaftungsablauf:
vorläufige Festnahme
Oftmals erfolgt vor dem Erlass eines Haftbefehls die vorläufige Festnahme des Beschuldigten nach § 127 StPO.
Nach § 127 Abs. 1 S. 1 StPO kann der „auf frischer Tat“ Betroffene vorläufig festgenommen werden, wenn er „der Flucht verdächtig“ ist. Dies ist dann der Fall, wenn nach den konkreten Umständen der Verdacht besteht, der Täter werde sich durch Flucht der Verantwortung entziehen, wenn er nicht festgenommen wird.
Nach § 127 Abs. 2 StPO sind Polizei und Staatsanwaltschaft bei „Gefahr im Verzug“ auch zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls vorliegen. „Gefahr im Verzug“ bedeutet, dass nach pflichtgemäßen Ermessen der Polizei die Zeit nicht ausreicht, über die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Haftrichter oder – falls kein Staatsanwalt erreichbar ist – gem. § 125 Abs. 1 StPO bei diesem direkt einen Haftbefehl zu bekommen, so dass die Festnahme des Verdächtigen durch den zu erwartenden Zeitverlust gefährdet erscheint.
Richterliche Vorführung
Nach § 128 Abs. 1 S. 1 StPO ist der Beschuldigte, sofern er nach der vorläufigen Festnahme nicht wieder freigelassen wird, unverzüglich, spätestens aber am Tag nach der Festnahme dem zuständigen Richter beim Amtsgericht, in dessen Bezirk er festgenommen worden ist, vorzuführen. Ist das nicht möglich, ist der Beschuldigte freizulassen.
Der Richter erlässt nach der Vorführung und der Anhörung entweder einen Haftbefehl auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder „von Amts wegen“ oder er verfügt die Freilassung, falls er die Festnahme für nicht gerechtfertigt hält.
Eine Vorführung findet aber auch dann statt, wenn der Beschuldigte aufgrund eines bereits erlassenen Haftbefehls festgenommen worden ist. In beiden Fällen findet eine solche Vorführungsverhandlung statt.
Der Haftbefehl:
Die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls sind in den § 112 ff. StPO geregelt.
Hiernach müssen drei Voraussetzungen vorliegen:
1. dringender Tatverdacht
Dringender Verdacht besteht, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist. Eine Prognose, dass eine Verurteilung wahrscheinlich ist, verlangt der dringende Tatverdacht nicht. Hier unterscheidet er sich vom hinreichenden Tatverdacht, bei dem es auch darauf ankommt, dass die Tat wahrscheinlich nachgewiesen werden kann. Der dringende Tatverdacht darf nur aus bestimmten Tatsachen und nicht nur aus bloßen Vermutungen hergeleitet werden.
2. Haftgrund
Fluchtgefahr
Der bedeutsamste Haftgrund ist der der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO.
Fluchtgefahr besteht, wenn es wahrscheinlicher ist, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen wird, als sich für den Prozess zur Verfügung zu halten. Voraussetzung ist ein Verhalten des Beschuldigten, dass den Schluss darauf zulässt, dass der Fortgang des Strafverfahrens dauernd oder wenigstens vorübergehend gehindert wird.
In der Praxis wird mit steigender Straferwartung weniger Gewicht auf diese Umstände gelegt. Das soll heissen, dass man annimmt, dass jeder Täter bei einer besonders hohen Straferwartung lieber fliehen wird, als sich bereitwillig in einem Prozess den Anschuldigungen zu stellen(sog. fluchtanreizbietende Freiheitsstrafe). Allerdings reicht eine solche nicht allein aus, um den Haftgrund der Fluchtgefahr anzunehmen. Es müssen auch andere Umstände hinzu treten, wie z.B. keinerlei soziale Bindungen, Arbeitslosigkeit, Kontakte ins Ausland und genügend finanzielle Mittel, um sich absetzen zu können.
Jedoch können auch Umstände gegeben sein, die selbst die aus der hohen Straferwartung abzuleitende Fluchtgefahr ausräumen können. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn der Beschuldigte sich selbst stellt, starke familiäre oder soziale Bindungen oder hohes Alter hat. Auch ein schlechter Gesundheitszustand, gefestigte berufliche Existenz oder ein fester Wohnsitz können darauf hindeuten, dass der Beschuldigte nicht fliehen wird.
Der Fluchtgefahr gleichgestellt ist der Fall, dass sich der Beschuldigte bewusst in einen Zustand länger andauernder Verhandlungsunfähigkeit versetzt, z. B. durch Drogenmissbrauch oder die Nichteinnahme ärztlich verordneter Medikamente.
Es bestehen besondere Anforderungen, um Jugendliche in U-Haft zu nehmen (§ 72 Abs.1 JGG). So muss gesondert geprüft (und im Haftbefehl aufgeführt werden), dass nicht durch andere vorläufige Anordnungen ausreichend erscheinen und bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung (§ 112 Abs. 1 S.2 StPO) müssen die besonderen Belastungen der Untersuchungshaft für Jugendliche berücksichtigt werden.
Bei Jugendlichen unter 16 Jahren ist nach § 72 Abs. 2 JGG die Vehängung von Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr nur dann zulässg wenn sich diese dem Verfahren bereits schon einmal entzogen haben oder wenn sie über keinen festen Wohnsitz verfügen.
Flucht
Flucht im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO setzt voraus, dass der Beschuldigte sich verborgen hält oder flüchtig ist.
Verborgen hält sich, wer unangemeldet, unter falschem Namen oder an einem unbekannten Ort lebt, um sich dem Verfahren dauernd oder auf längere Zeit zu entziehen.
Flüchtig ist derjenige Beschuldigte, der seine Wohnung aufgibt, ohne eine neue zu beziehen oder der sich mit dem Ziel ins Ausland absetzt, für Ermittlungsbehörden oder Gerichte unerreichbar zu sein.
Verdunkelungsgefahr
Verdunklungsgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO liegt vor, wenn das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, dass er durch bestimmte Handlungen auf sachliche oder persönliche Beweismittel (z.B. Zeugen) einwirken und so die Findung der Wahrheit erschweren wird.
Dieser Haftgrund kann daher zur Sicherung des Ermittlungsverfahrens auch dann angenommen werden, wenn aufgrund einer niedrigen Straferwartung Fluchtgefahr nicht anzunehmen ist. Der Beschuldigte sollte also selbst bei nicht so schweren Delikten alles unterlassen, was den Anschein erwecken könnte, dass er auf Beweismittel einwirken will.
Die Bitte an einen Zeugen, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, fällt in der Regel nicht hierunter.
Nach § 113 Abs. 1 StPO darf Untersuchungshaft wegen Verdunkelungsgefahr nicht angeordnet werden, wenn die Tat nur mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bedroht ist.
Schwerstdelikte
Bei bestimmten schweren Straftaten ist nach dem Wortlaut des § 112 Abs. 3 StPO die Anordnung der Untersuchungshaft auch dann zulässig, wenn keiner der oben angeführten Haftgründe gegeben ist. Das Bundesverfassungsgericht hat durch seine Rechtsprechung diese Regel aber eingeschränkt. Es müssen auch hier bestimmte Umstände vorliegen, die die Gefahr begründen, dass ohne die Festnahme des Beschuldigen die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte. Jedoch werden an das Vorliegen dieser Umstände nicht so hohe Anforderungen gestellt, wie bei den übrigen Delikten. Somit kann ein Haftbefehl auf § 112 Abs. 3 StPO gestützt werden, wenn bspw. eine Fluchtgefahr zwar nicht sicher angenommen werden kann, jedoch nicht auszuschließen ist, dass eine solche vorliegt.
Wiederholungsgefahr
Nach § 112a StPO stellt auch eine Wiederholungsgefahr für bestimmte, dort aufgezählte Delikte einen Haftgrund dar.
3. Verhältnismäßigkeit
Die Anordnung des Haftbefehls muss auch verhältnismäßig sein. Abzuwägen sind hier die Schwere des Eingriffs durch die Untersuchungshaft gegen die Bedeutung der Strafsache und die Rechtsfolgenerwartung.
Inhalt des Haftbefehls
Der gesetzlich erforderliche Inhalt des Untersuchungshaftbefehls ergibt sich aus § 114 Abs. 2, 3 StPO. Nach dieser Vorschrift sind der Beschuldigte, die Tat, derer er dringend verdächtig ist, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften, der Haftgrund sowie die Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht und der Haftgrund ergeben, in dem Haftbefehl anzuführen.
Haftverschonung
Nach § 116 StPO kann der erlassene Haftbefehl von dem Richter außer Vollzug gesetzt werden („Haftverschonung“). Das heißt, dass der Haftbefehl zwar grundsätzlich bestehen bleibt, man aber dennoch nicht in die Untersuchungshaft muss.
§ 116 Abs. 1 StPO regelt die Vollzugsaussetzung beim Haftgrund der Fluchtgefahr, § 116 Abs. 2 betrifft den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr und § 116 Abs. 3 StPO den Haftgrund der Wiederholungsgefahr.
Außer Vollzug gesetzt werden kann der Haftbefehl immer dann, wenn auch andere Maßnahmen geeignet sind, den Zweck der Untersuchungshaft, nämlich den Fortgang des Strafverfahrens zu sichern, zu gewährleisten. So z.B. Meldeauflage bei der Polizei in regelmäßigen kurzen Abständen bei Fluchtgefahr oder Verbot, zu Zeugen oder Mitbescchuldigten Kontakt aufzunehmen bei Verdunkelungsgefahr.