Seit fast zwei Jahren ist die Corona-Pandemie Teil unseres Lebens und wirkt sich somit erheblich auf den Alltag junger Menschen aus.
Wie im vergangenen Jahresbericht beschrieben, erlebten wir insbesondere in der Anfangszeit ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein bei den jungen Menschen. Die Jugendlichen versuchten, sich an geltende Regeln zu halten, teilten Gedanken über ihre Pläne und waren sich der Wichtigkeit des Themas durchaus bewusst. Mit der andauernden Pandemie-Situation, den neuen Mutationen, Intransparenz von Seiten der Regierung und teilweise widersprüchlichen und sprunghaft wechselnden Regelungen wuchsen jedoch Frustration und Unverständnis der jungen Menschen.
Besonders konfliktbeladen waren hierbei die Themen Homeschooling und Social Distancing. Fehlende Ressourcen wie ungestörte Arbeitsplätze oder eigene Computer und extreme Flexibilität, welche im Online-Unterricht gefragt waren, wurden als herausfordernd wahrgenommen. Viele Schüler*innen fühlten sich verloren und überfordert. So berichteten einige junge Frauen* neben dem Lernen zusätzlich mit der Betreuung kleinerer Geschwister beschäftigt gewesen zu sein, während die Kindergärten geschlossen waren und ihre Eltern trotzdem arbeiten mussten. Das Gefühl, die eigenen Bedürfnisse zugunsten teils für sie schwer nachvollziehbarer Maßnahmen komplett zurückstellen zu müssen, erhärtete sich im Laufe der Zeit deutlich.
Aber auch nach der Rückkehr in den Präsenzunterricht hatten viele Jugendliche den Eindruck, nicht gehört oder gesehen zu werden. Ständiges Lüften bei winterlichen Temperaturen begünstigte Erkältungen und die im Homeschooling entstandenen Bildungslücken ließen sich kaum einholen. Viele junge Menschen fühlten sich verhöhnt, wenn sie dafür kritisiert wurden, sich in der Freizeit mit ihren Schulfreund*innen zu treffen, obwohl sie täglich im Klassenzimmer ohne Abstand nebeneinander saßen. Die moralische Verpflichtung, sich im Interesse vulnerabler Gruppen zurückzuhalten, wurde zunehmend als erdrückend empfunden. Während die Mädchen* eher resignierten und die Situation in sich aufstauten, reagierten die männlich gelesenen Jugendlichen oft mit Trotz und Rückzug, der sich in Schulschwänzen oder aggressivem Verhalten äußerte. Dieses konnten sie wegen ausbleibender Sport- und Bewegungsangebote teilweise nur schwer kontrollieren.
So entstanden Konflikte im Freundeskreis und innerhalb der Familien, welche zu weiterem Frust führten und eine Spirale aus Wut und Ablehnung befeuerten. Der Bewegungsmangel und fehlende Strukturen im Tagesablauf begünstigten bei vielen Jugendlichen exzessiven Medienkonsum und ein gestörtes Essverhalten. Darüber hinaus wirkte sich die dadurch auftretende Gewichtszunahme, vor allem bei den jungen Frauen*, negativ auf Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein aus.
Unter allen Mädchen* und Jungen* kam es vermehrt zu depressiven Episoden, die durch den Wegfall unterstützender Infrastruktur verstärkt wurden. Diese äußerten sich beispielsweise durch Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen oder allgemeine Zukunfts- und Verlustängste, deren Aufarbeitung und Überwindung teilweise bis heute andauert und längst nicht abgeschlossen ist. Hinzu kommen Geschlechterstereotype, die vor allem bei männlich gelesenen Jugendlichen eine Auseinandersetzung mit Themen der mentalen Gesundheit und den Zugang zu Hilfsangeboten erschweren.
Die jungen Menschen, die wir betreuen, wachsen meist unter prekären und von Armut geprägten Bedingungen auf. Davon ausgehend traf die Pandemie sie besonders hart und ließ ihren gesamten Lebensraum schlagartig aus den Fugen geraten. Fehlende Reisemöglichkeiten oder Restaurantbesuche fielen dabei weniger ins Gewicht, da diese bereits vor den Beschränkungen nicht zur Realität der Jugendlichen gehörten. Vielmehr griffen die Maßnahmen zur Virusbekämpfung in existenzielle Bereiche ihres Alltags ein. So wurde etwa eine Großzahl der Freizeiträume ausgehebelt, wodurch auch Angebote der offenen Jugendarbeit oder Jugendsozialarbeit über Monate hinweg nur sehr begrenzt möglich waren. Bis heute wirken sich diese Einschränkungen auf genannte Arbeitsfelder aus. Dadurch fehlen niedrigschwellige Gelegenheiten, die für Alltagsberatung und Übergangsbegleitung junger Menschen von grundlegender Bedeutung sind.
Mit den Beschränkungen organisierter Freizeitgestaltung konnte auch das Zusammentreffen im öffentlichen Raum nicht mehr wie gewohnt stattfinden. Hier entstehen jedoch elementare Formen des sozialen Miteinanders junger Menschen, bei denen Herausforderungen des Jugendalters bearbeitet werden und Prozesse der Selbstpositionierung geschehen können. Insbesondere in beengten Verhältnissen zuhause, wo es oft an ausreichenden Rückzugsorten mangelt, war das Chillen in Peer Groups eine Möglichkeit, um abzuschalten, und eine ebenso wichtige Ressource wie familiäre Stabilität und emotionaler Rückhalt. Diese Faktoren sind wiederum entscheidend für die Bewältigung psychischer Belastungen und die Entwicklung einer grundlegenden Resilienz, die zur Verarbeitung der Situation von größter Bedeutung sind. Die Jugendlichen mussten stellenweise erheblichen Gegenwind von Anwohner*innen in Kauf nehmen, um sich draußen aufhalten zu dürfen und waren dort oft nur geduldetes Übel. Nun wurden sie dieses erkämpften Raums beraubt, ohne dabei eine wirkliche Perspektive auf ein Ende der Einschränkungen zu haben.
Die vergangenen zwei Jahre waren eine Aufreihung versäumter Chancen und verstrichener Lebenszeit, die junge Menschen* in sensiblen und persönlichkeitsbildenden Entwicklungsphasen in speziellem Maße belastete. Sie wurden prägender Ereignisse wie Abschlussfeiern, Schüleraustausche oder Praktika beraubt und die Lücken, die Schulschließungen und Isolation in Bildung und Sozialverhalten gerissen haben, sind noch nicht ansatzweise zu erfassen. Was wir aber schon wissen, ist, dass die Pandemie eine Pandemie der gesellschaftlichen Ungleichheit, Armut und Chancen-Ungerechtigkeit ist. Auf diese Probleme wirkte sie wie ein Brandbeschleuniger und verdeutlichte umso mehr, wo bereits vor Corona vieles Anlass zur Sorge bereitete.
Es liegt in unserer Hand, die Bedürfnisse und Belange junger Menschen ernst zu nehmen und sie in die Gestaltung unserer Gesellschaft aktiv mit einzubeziehen, statt über ihre Köpfe hinweg Entscheidungen zu treffen, die sich langfristig auf ihre Zukunft auswirken. Nur so können aus verpassten Jahren nicht verpasste Generationen erwachsen.