Zugegeben, das Foto ist eine kleine Mogelpackung – los ging‘s nicht zu Fuß, sondern im Bus, dafür musste sich aber auch niemand einen Ohrstecker mit Nagel und Hammer durchs Ohr hämmern lassen, wie das bei einer Walz üblich ist… Auch hatte noch keine*r der Teilnehmenden einen Gesellenbrief… aber durch die Walz vielleicht schon in den nächsten Jahren… und darum gings: hinaus in die Welt, offen sein, Berufe kennenlernen, einfach mal machen, teilhaben, sehen, wie großartig und auch befriedigend diverse Berufe sein können, abends geschafft sein und sehen, was man geschafft/geschaffen hat, merken, was man alles kann und erreichen kann, durchhalten, sich etwas erklären lassen, sich etwas zutrauen, selbstbewusst wieder nach Hause fahren (oder direkt da bleiben – dazu später mehr…).
Damit all diese Punkte ein Erfolgserlebnis werden können, mussten wir dahin, wo‘s schön ist, die Menschen offen sind, uns willkommen heißen und Lust haben, uns Großstädter*innen etwas zu zeigen. Außerdem sollte es nach getaner Arbeit ein vernünftiges Feierabendbier geben, ein bisschen Aktion für drum rum und bestenfalls ne schöne Landschaft und vielleicht ein Mysterium, dass es zu erkunden gab… diese Attribute schreien nach, richtig, BAYERN… dachten wir und zogen los! Ziel waren Oettingen und Nördlingen im schönen Ries weil wir dort durch Bekannt- und Verwandtschaft Betriebe kannten, die offen sind und uns freundlich anleiten würden, sprich, Lust auf uns hatten. Alle anderen wichtigen Punkte waren dort auch gesichert!
Am Mittwoch kamen wir an und checkten bei der Goldenen Gans ein, die uns einfache, aber saubere Montagezimmer (passend zum Projekt) für einen fairen Preis anboten und uns auch ansonsten jeden Wunsch, sei er noch so groß, erfüllten! Danke dafür!
Am Donnerstag, morgens um 6:15h, klingelte der Wecker und ein Teilnehmer ging zur Firma Güdel; ein Betrieb für Automatisierungstechnik, um den Ausbildungsberuf des Produktdesigners kennenzulernen. Freudig begrüßt und angeleitet wurde er von Anna. Möglich machte die Tagespraktika Matthias, der wirklich sehr engagiert alles gab, damit wir in dieser nicht ganz kleinen Firma auch am Start sein konnten. Danke vielmals, wie das die Schweizer*innen generell und bestimmt auch an eurem dortigen Hauptsitz sagen…
Für die Teilnehmerin gings in die Schreinerei Heiss, in der in den Ausbildungsberuf der Schreinerin/Tischlerin reingeschnuppert werden konnte. Die junge Frau konnte direkt bei der Produktion mithelfen, so dass jeder Schritt und jede Handlung Sinn ergaben. Jochen, der Chef, war sofort unkompliziert und interessiert mit dabei und warb sogar noch andere Firmen, uns Einblicke zu gewähren. Dickes, fettes Danke auch an dich und deine Crew.
Abends gings zu einem feinen, privaten Stammtisch in einem Häuschen (genannt Chez Luise) im Garten der Versicherungsagentur Sandmeyer, die nicht nur sehr herzlich, freundlich und integrativ waren, sondern auch besagtes, wohlverdientes Feierabendbier hatten. Außerdem boten sie, nachdem sie unsere jungen Menschen kennenlernten, direkt Ausbildungsplätze zum/zur Versicherungskaufmann/frau und ein Auszeit-von-Eltern-und-Berlin-Bett an, und meinten beides auch so! Krass, bevor wir einen Plan haben, haben wir einen Stammtisch, so die junge Berlinerin völlig geflasht von so viel Herzlichkeit. Merci, Edith & Uli!
Am Freitag ging der junge Mann zur Schreinerei Heiss und die junge Frau zu eb Naturstein GmbH Eisenbarth, dem Steinmetz- und Bildhauermeister Markus, der sie direkt mit Hör auf mich zu siezen, ich bin nicht dein Anwalt begrüßte. In der Schreinerei ging’s wieder direkt mit in die Produktion, wo es um Millimeterarbeit und Genauigkeit ging, wie das beim Schreiner so üblich ist, während es am Steinklotz erstmal eher grob zur Sache ging. Zur ersten Pause waren schon diverse Blasen an den Händen und die Sorge, wie das Smartphone abends noch bedient werden sollte, war eine große… Am Ende war die Vogeltränke aber fein geschliffen und durfte mit nach Hause genommen werden.
Am Freitag um eins, macht im bayerischen Handwerk wirklich jeder seins. Um diese Zeit gibt’s dann schon das erste Feierabendbier für Geübte, für uns gab’s gleich ne ganze Brauerei. Wir wurden nämlich von der Juniorchefin höchstselbst durch ihre Familienbrauerei, Oettinger-Bier geführt. (Nein, is keine Plörre, nur preiswert, weil logistisch und überhaupt gut organisiert!) Wir wissen jetzt viel über lebende und tote Hefe, den Brauprozess als solches und ehrliches Marketing (ja, das gibt es!). Auch hier bot man den jungen Menschen diverse Ausbildungsberufe wie Brauer*in & Mälzer*in, Fachkraft für Lebensmitteltechnik, Berufskraftfahrer*in, Industriekauffrau/mann und Elektroniker*in für Betriebstechnik an und hätte sie am liebsten direkt dabehalten. Danke für die wirklich sehr beeindruckende Führung und das Probetrinken, Frau Kollmar.
Tatsächlich nüchtern ging es nach dem Abendessen und gutbayerischer Geselligkeit (uns wollte wirklich jeden Abend irgendjemand sehen und wir waren überall willkommen) relativ schnell ins Bett, denn Arbeit macht nicht nur glücklich, sondern auch hundemüde.
Am Samstag war gemütliches Chillen angesagt – mit Zocken im Garten, Trachtenanprobe (kein Bayern ohne Lederhose und Dirndl) und Vorbereitung auf das abendliche Stadtfest. Dort gingen wir hin. Mehr wissen wir nicht mehr. Spaß. Es war toll! Wir lernten noch mehr Menschen kennen, die uns und unser Projekt ganz großartig fanden und sehr interessiert waren.
Es ward Sonntag und wir hatten einen vollen Tag Freizeitprogramm extrem. Erst gings auf die Wörnitz, (ein zartes Flüsschen) zum Rudern, dann ins selbige, an die Wörnitz angedockte Freibad. Danach folgte ein kleines Highlight – Schießen im Schützenverein der Niederhausschützen Hürnheim. Das war ein Wunsch der Teilnehmer*innen, denn: Kein Bayern ohne Schützenverein. Wir starteten ein kleines Wettschießen (auf Pappstreifen, für alle, die jetzt Schnappatmung kriegen) und entdeckten hier ungekannten Ehrgeiz. Danach gingen alle! unverletzt! aufs Niederhaus, die örtliche, wunderschöne, begehbare Burgruine. Hier gab’s kulinarische Köstlichkeiten aus der Region, die Rieser Küchle. Abends fielen wir noch erschöpfter als die Tage davor ins Bett – zumal es am nächsten Morgen um 6h wieder ans Aufstehen ging.
Am Montag waren die Teilnehmer*innen in der Industriemechanik, wieder bei der Firma Güdel in Nördlingen. Unter kollegialer und freundlicher Anleitung von Christiane und Jürgen gings ans Messen, Schrauben, Bohren und Montieren. Alles musste wieder auf den Millimeter genau passen. Wie in allen ausprobierten Berufen sah man am Ende so richtig, was man gemacht und geschaffen hat. Außerdem wussten beide, wie auch schon beim Schreiner, wie sauber und genau sie in der Lage waren zu arbeiten.
Am Montagabend verabschiedeten wir uns (tatsächlich schweren Herzens) von all den netten Menschen im Chez Luise und wurden nochmals und wiederholt gefragt, ob wir nicht bleiben, in die Ausbildung, uns mit ihren Kindern vermählen wollen oder was sie tun müssten, damit wir Berlin tschüss sagten?! Sie hätten auch Wohnungen… nur mal so…
Ziel ist, dass die Walz jetzt in Serie geht.
Der junge Mann, der dabei war meinte, dass jeder junge Mensch, der die Chance dazu bekomme, seine Komfortzone verlassen solle, denn man würde nirgends herzlicher, freundlicher und familiärer empfangen als dort. Er würde sogar dafür werben und wieder mitfahren. Außerdem sagte er noch etwas sehr Berührendes, nämlich, dass es zwar um Berufe kennenlernen und sich ausprobieren, aber vor allen Dingen um ihn als Mensch und Teil der Gesellschaft gegangen sei. Er habe sich selten so frei gefühlt und seine ganzen Probleme hinter sich lassen können wie im Umfeld dieser Menschen dort – die ein echtes Interesse an ihm und seiner Geschichte hatten, er aber entscheiden konnte, ob er diese erzählte oder nicht.
Die junge Frau meinte, dass durch die familiengeführten Betriebe bzw. kleineren Abteilungen individuell auf sie eingegangen werden konnte. Sie habe sich mit einer Aufgabe nie alleine gefühlt und ohne Angst, zu versagen, lernen können. Außerdem fühlte sie keinen Druck, sich für den Rest ihres Lebens für einen Beruf entscheiden zu müssen. Sie habe schon lange kein Gefühl mehr für Familie gehabt, aber das Erlebte dort bescherte ihr durch die Herzlichkeit und Gemeinschaft wieder eine Ahnung davon.
Für mich als Streetworkerin ist es eine Freude, mit euch zauberhaften Menschen arbeiten und derartige Projekte erleben zu dürfen. Schön, dass ihr euch drauf eingelassen habt und Danke fürs Vertrauen!
Nochmal ein HERZLICHES DANKE an alle Beteiligten – der Erfolg für uns war nur durch Sie und Euch möglich! Unglaublich, wie spontan das alles klappte und wie offen jede*r für uns war. Ein großes Dankeschön in diesem Zuge auch an Element Haar und Malerbetrieb Baur, ohne deren Netzwerke und Organisation vor Ort das Projekt so reibungslos nicht durchführbar gewesen wäre.
In diesem Sinne
Servus und Hobidiehre
PS: Die Teilnehmerin meinte, sie habe Menschen in der U-Bahn mit Servus gegrüßt und außerdem wache sie morgens um 7h von knurrendem Magen auf, weil sich ihr Körper um 7h auf Brotzeit einstellte…
PPS: Wer bis hierher kam bewies Durchhaltevermögen und sollte sich überlegen, das nächste Mal an der Walz teilzunehmen…