I. Der Begriff “ akzeptierende Jugendsozialarbeit “ ist nicht neu, zumal seine inhaltliche und methodische Konkretisierung an eine illusionslose und nicht moralisierende Anerkennung gesellschaftlicher Realität gebunden ist.
Der Begriff findet einen seiner Ursprünge in der Arbeit mit Drogenabhängigen. „Clean-Sein“ – für viele Ziel langjähriger harter Auseinandersetzung mit eigenem Verhalten und Umwelt – galt als Voraussetzung, um überhaupt mit Abhängigen zu arbeiten. Diese Formulierung von Ausgangsbedingungen führte zur Ausgrenzung all derer, die diese Anforderung nicht erfüllen wollten oder konnten.
Erneut in die Fachdiskussion gekommen ist der Begriff `Akzeptierende Jugendarbeit`durch drei Aufsätze, die aus dem Bremer Projektzusammenhang Ende 1991 im Sozialmagazin (H.10/1991), in der deutschen jugend (H.11/1991) und in der neuen praxis (H.4/1991) veröffentlicht wurden.
Die Auseinandersetzung und der Streit um den Begriff spitzte sich allerdings erst in einer Zeit zu, als Sozialarbeit gefordert war, Jugendarbeit mit rechten Cliquen und Szenen zu leisten. Die einen halten `Akzeptanz` für einen zentralen Begriff in der konzeptionellen Diskussion zur Jugendarbeit mit dieser Zielgruppe, die anderen sehen in ihm ein zentrales Indiz zur Verharmlosung von Rechtsextremismus und Gewalt.
„ – Da wird einerseits `Akzeptierende Jugendarbeit`geradezu als das pädagogische Allheilmittel gepriesen – im übrigen gegen ein Problem, das im Kern ja kein pädagogisches, sondern ein gesellschaftspolitisches ist.
– Und da wird andererseits geradezu als ausgeschlossen bezeichnet, daß eine Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendszenen hingenommen – oder gar noch staatlich gefördert werden dürfe. Denn das sei `Nationalsozialarbeit`, so ein in manchen Kreisen in Mode gekommener Begriff.“
Die Frage ist nicht unberechtigt, ob es Sinn macht die komplexe Widersprüchlichkeit von Sozialarbeit und Gesellschaft/Politik in einem Begriff auflösen zu wollen.
Eines scheint dennoch gewährleistet: dieser Begriff wirft Sozialarbeit auf realistische Aufgabenstellungen und Grenzen zurück, und zwar nicht nur im Umgang mit Jugendlichen mit rechtsorientierten Wertvorstellungen. Im Umgang mit Rechtsradikalen schien auf einmal eine oft überhöhte und uneingeschränkte Maxime der Sozialarbeit – im Mittelpunkt stehen diejenigen Probleme, die Jugendliche haben, nicht diejenigen Probleme, die sie machen – ins Wanken zu geraten. Im Vorwort zur Gangway Dokumentation II heißt es dazu:
Die Jugendlichen, mit denen wir es zu tun haben, fallen auf.
Man sagt auch: „Sie sind auffällig“.
Sie haben Kraft und wollen sie zeigen.
Man sagt auch: „Sie sind gewaltbereit“.
Sie haben Probleme.
Man sagt auch: „Sie machen Probleme“.
Sie werden ausgegrenzt.
Man sagt auch: „ Sie grenzen sich selbst aus“.
Meist stimmt beides.
Sozialarbeit wird sich weiterhin hauptsächlich den Problemen zuwenden, die Jugendliche haben. Der Dialektik dieses Zusammenhangs kann sie sich im Alltag jedoch nicht entziehen.
Der Begriff „Akzeptanz“ ist in sich differenziert und vielschichtig. Er reicht von der Wahrnehmung gesamtsozialer Prozesse über das theoretische Erfassen und Verstehen jugendlicher Verhaltensweisen bis hin zur (Nicht-)Duldung dieser Verhaltensweisen im Alltag von Sozialarbeit. In der Vielschichtigkeit gesellschaftlicher Sphären, deren komplexen Ursachen und (nicht)adäquaten gesellschaftlichen Interventionsmöglichkeiten liegt die Sprengkraft dieses Begriffes.
Der Begriff reflektiert in sich zugleich vielfältige Widersprüche: so z.B. das Verhältnis von sozialpädagogischem Anspruch und gesamtgesellschaftlichen Veränderungsmöglichkeiten, Theorie und Praxis sowie das Verhältnis zwischen Sozialarbeiter und Klientel (Subjekt und Objekt) im gesellschaftlichen Kontext.
Jeder Mensch hat ein Recht auf Lebenshilfe, unabhängig von der Erfüllung irgendwelcher Vorbedingungen.
II. Für einen Umgang mit auffälligen und gewaltbereiten Jugendgruppen ohne Vorbedingungen sind m.E. drei Formen der theoretischen Annäherung möglich:
1. Betrachten, Wahrnehmen und Unmittelbarkeit im Erleben der Verhaltens- und Kommunikationsweisen dieser Jugendlichen. Dies schließt die Wahrnehmung eigener Verunsicherungen mit ein. Diese Verunsicherungen (oder Ambivalenzen) können durchaus behilflich sein, auch Ambivalenzen der Wirklichkeit wahrzunehmen.
Nur solange das Widersprüchliche und das Prozeßhafte in Aussagen und Verhalten dieser Jugendlichen noch begriffen wird, können auch Ansatzpunkte für sozialpädagogisches Handeln entwickelt werden.
(So z.B. kann Gewalt als ein einfach strukturiertes, äußerst effektives , “ kostengünstiges“ und rauschhaftes Kommunikations- und Durchsetzungsmittel erfaßt werden. Sozusagen Gewalt als eine körpereigene Droge, die der Identitätserzwingung, der Interessen- und Existenzsicherung dienlich sein kann und zugleich in der Dynamik des Gruppenerlebens ein Gefühl von “ fun“ (Spaß und Lust), Körperbewußtsein / Körperattraktivität, Erregung und Macht vermittelt.)
2. Über die Alltagserfahrung hinaus muß eine Reflexion der veränderten Bedingungen des Aufwachsens heutiger Jugendlicher erfolgen.
In diesem Sinne nimmt akzeptierende Jugendarbeit konkreten Bezug auf die unmittelbare Alltagswelt und erlaubt einen genauen Einblick in die Kompliziertheit spezifischer Probleme der Jugendlichen.
3. Die Lebenssituation Jugendlicher kennenzulernen und zu begreifen ist nur durch eine Teilnahme bzw. Teilhabe an deren Leben möglich.
Anteilnahme ist Voraussetzung, um ein Vertrauensverhältnis herzustellen. Identifikation entsteht da, wo sich die Situation Jugendlicher mit den eigenen Erfahrungen deckt. Sie zwingt die Akteure nicht nur zu Offenheit und möglicher Richtungsänderung im Denken, sondern in der Konsequenz auch zu Verhaltensänderungen, die es ständig zu überprüfen gilt.
Eine Straßensozialarbeiterin aus dem Team Reinickendorf über die Gefahr der Identifikation:
„Zu große Nähe führt zur Teilübernahme jugendlichen Verhaltens. Manchmal verhalten wir uns und diskutieren wir wie unsere Jugendlichen. Aber ich komme auch zuweilen in Situationen, wo ich nicht helfen kann, sondern selbst betroffen bin.“
III. Die Gratwanderung zwischen eigenen Anschauunen und Gefühlen und Fachlichkeit
In Dominanz ist vom Sozialarbeiter in seiner Arbeit fachliche Parteilichkeit und Interessenvertretung gefragt – ist Professionalität gefragt.
(Die parteipolitische Rekrutierung Jugendlicher dieser Zielgruppen gehört ausdrücklich nicht zu den Aufgaben eines Sozialarbeiters.)
In Dominanz ist Sozialarbeit eine Dienstleistung – und die Jugendlichen erkennen unsere Funktionalität. Es geht darum, Kriterien für diese Dienstleistung zu erarbeiten.
Das bedeutet nicht, daß Sozialarbeiter unpolitisch sind, nicht ihre Positionen verdeutlichen und nicht zugleich gesellschaftspolitische Einmischungsstrategien entwickeln.
„Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Oft ist man enttäuscht, wenn sich hohe Erwartungen und persönliche Energie nicht realisieren bzw. umsetzen.“ – „Es gibt Jugendliche, zu denen findet man einen Draht, und es macht Spaß. Mit anderen gehe ich nur professionell um.“ – „Die Arbeit mit rechten Jugendlichen fällt mir oft schwer. Ich muß einfach mal rausgehen und Luft holen.“
Distanz zu den Weltbildern der Jugendlichen
Eine Überidentifizierung mit den Jugendlichen kann bei unterschiedlichen Zielgruppen mit unterschiedlichen Weltanschauungen und differierenden politischen Auffassungen unter den Sozialarbeitern zu ihrer Teilung in “ Opfersozialarbeiter und Tätersozialarbeiter“ führen.
Differenzen in politischen und weltanschaulichen Vorstellungen des Sozialarbeiters zu denen der Jugendlichen können möglich sein. Toleranz gegenüber politischen und weltanschaulichen Vorstellungen von Jugendlichen, soweit sich diese auf der Basis des Grundgesetzes bewegen, muß möglich sein.
Diese Toleranz schließt nicht nur ein, „daß soziale Arbeit mit Jugendlichen unabhängig von deren Herkunft und ihren weltanschaulichen Auffassungen unbedingt notwendig ist…“ (Presseerklärung „Arbeitskreis Berliner Streetworker“ vom 02.12.1992), sondern sollte zugleich mit dem Tabu brechen, daß nicht auch Sozialarbeiter auf oben genannter Grundlage unterschiedliche politische und weltanschauliche (so z.B. wertkonservative) Vorstellungen vertreten können. Im Ergebnis vergleichender Analyse unserer unterschiedlichen Zielgruppen und der geführten Auseinandersetzungen um die Ausschreitungen gegen den Sozialdiakon Michael Heinisch setzt sich zunehmend folgende Position durch:
Jugendlichen mit rechtsorientierten Wertvorstellungen soziale Hilfsangebote vorzuenthalten geht einher mit sozialer Benachteiligung. Ausgrenzen ist soziale Auslese. Jeder Mensch hat ein Recht auf Lebenshilfe, unabhängig von der Erfüllung irgendwelcher Vorbedingungen. Die Formulierung von Ausgangsbedingungen führt zur Ausgrenzung all derer, die diese Anforderung nicht erfüllen können oder wollen.
IV. Professionalität drückt sich in der Fähigkeit zur Reflexion aus
„Professionell bist du immer erst, wenn du dir dessen, was du tust, bewußt bist.
Professionalität heißt auch, daß man sich über Probleme von Jugendlichen verständigen kann, ohne sich persönlich angegriffen zu fühlen. Professionalität heißt, wir brauchen intaktes soziales Leben um uns herum. Sonst stehen wir in der Gefahr, unser ganzes soziales Leben über die Jugendlichen zu realisieren.“
Akzeptierende Sozialarbeit funktioniert nur, wenn Sozialarbeiter in der Lage sind, von ihrer eigenen Unmittelbarkeit zu abstrahieren und zumindest bereit sind, ihre eigenen Denk- und Verhaltensweisen in Frage stellen zu lassen bzw. in Frage zu stellen.
Diese Arbeit bedeutet, sich auf Unvorhersehbares und Ungewohntes einzulassen, sich auf unkonventionelle und z.T. komplizierte Art und Weise einer permanenten Grenzüberschreitung seiner selbst zu unterziehen.
„Akzeptierende Jugendarbeit stellt an denjenigen, der sie betreibt, hohe Anforderungen: … Es bedeutet, und das halte ich für entscheidend, mit allen Konsequenzen – auch persönlicher Verunsicherung – bereit zu sein, die Jugendlichen als Täter und als Opfer zu sehen und zu respektieren.“
Das bedeutet jedoch nicht, den philosophisch-theoretischen Gehalt des Begriffes `Akzeptierende Sozialarbeit` grundsätzlich für jede praktische Arbeit zu verallgemeinen und seine Relevanz für gesellschaftliche Veränderungs- bzw. Erwartungshaltungen zu überhöhen. Begrifflichen Abstraktion (Jugend und Gesellschaft) und der Anspruch auf Fortschritt birgt die Gefahr eines realen Dualismus in sich, wie er eingangs von Krafeld skizziert wurde. Sozialarbeit wird so realitäts- und definitionslos, überschätzt den Einfluß von alltäglicher Sozialarbeit, berücksichtigt nicht das Entwicklungsgefälle zwischen SozialarbeiterInnen und KlientInnen und verkürzt so objektive Widersprüche auf subjektiv empfunde Grenzen der Akteure.
V. Akzeptierende Jugendsozialarbeit versteht sich als Umgangs- und Auseinandersetzungsform im Lebensumfeld der Jugendlichen
Akzeptierende Jugendsozialarbeit nimmt den öffentlichen Raum nicht nur als Sozialraum wahr, sondern versteht ihn als Arbeitsfeld.
„ Wir begreifen die Straße als legitimen Lebensraum für Jugendliche, als öffentlichen Treffpunkt, dem im Jugendalter eine besondere Bedeutung zukommt. Unser Anspruch ist es nicht, die Jugendlichen „von der Straße zu holen“, um sie anderenorts aufzubewahren. Straße als sozialer Raum ist ein von Jugendlichen durchaus gewünschter riesiger `Abenteuerspielplatz`, auf dem gegenwartsbezogene Spontanität ausgelebt wird.
Öffentliche Räume sind: Straßen und Plätze, Kneipen und Spielhallen, Bushaltestellen und Bahnhöfe, Flure von Wohnhäusern und Eingänge von öffentlichen Gebäuden und Einkaufszentren, Parkanlagen und Imbißbuden, Bauruinen und ausgediente Wohnwagen, der zu einer Hütte umgebaute Hochstand …usw.(siehe Anhang 1).
Akzeptierende Jugendsozialarbeit muß sich auf die Bedingungen und Spielregeln der Jugendlichen in kritischer Parteilichkeit und Partnerschaft einlassen, um mit ihnen in Kontakt zu kommen und ihr Vertrauen zu gewinnen.
In der Phase des „Sich-Kennen-Lernen-Wollens“ sind die Ausgangsvoraussetzungen für den gegenseitigen Zugang insofern gleich, daß sich der Jugendliche jederzeit dem/ der Sozialarbeiter/in entziehen und sich zurücknehmen kann. Gleichheit der Ausgangsbedingungen bedeutet, daß dies dem/der Sozialarbeiter/in in potentia auch zugestanden werden muß.
Wenn nicht überhaupt, so doch zumindest in dieser Phase sind moralisierende und ideologisierende `Aufklärungskampagnen` und ungeduldig vorgetragene Disziplinierungsstrategien als Reaktion auf verbal spielerische Provokationen völlig fehl am Platz.
Das bedeutet nicht, daß man nicht auch in dieser Anfangsphase deutlich seine Auffassungen und Positionen vertreten sollte.
Akzeptanz heißt auch, Jugendliche aufgrund ihrer (Straf-) Taten nicht auszugrenzen. Zu verurteilen ist die Tat, nicht der Mensch. Akzeptanz heißt allerdings nicht, jugendliches Gewaltverhalten zu beschönigen oder gar zu entschuldigen.
„Der Begriff der akzeptierenden Jugendsozialarbeit wird oft mißbraucht. Es geht nicht, alles zu tolerieren und zu begründen. Es müssen auch Grenzen aufgezeigt werden.
Das ist oft Kampf, den man durchstehen muß, und es ist viel komplizierter als unendliche Toleranz.“
VI. Regeln, die zusammen erarbeitet werden, müssen auch durchgehalten werden.
Der Prozeß des Aufbaus eines Regelwerkes wird natürlich von dem Versuch gegenseitiger Grenz-und Regelüberschreitung begleitet und erfordert zuweilen flexible, unkonventionelle und humorvoll-ironisierende Formen und Methoden des Umgangs.
Sollte ein Sozialarbeiter allerdings in der darauffolgenden Woche mit seiner Gang bei einem Ladendiebstahl erwischt werden, so ist zu vermuten, daß der Prozeß gegenseitiger Akzeptanz doch “ etwas einseitig“ verlaufen sein könnte …… .
Oder, um ein Thema zu einem Einführungskurs in die Sozialarbeit von Woody Allen aufzugreifen:
„Die zu behandelnden Themen umfassen: Wie organisiert man eine Straßenbande zu einer Korbballmannschaft um oder umgekehrt…. .“)
Notwendige Regeln bei Gruppenaktivitäten werden gemeinsam in der Gruppe aufgestellt und setzen ihre konsequente Durchsetzung voraus. Den `Mindeststandard` formuliert ein Straßensozialarbeiter aus dem Team Pankow so:
„ Wir setzen auf offene, akzeptierende Jugendarbeit: Wir missionieren die nicht, wir nehmen sie so, wie sie sind. Die einzige Regel, wenn wir mit ihnen zusammen sind, ist: keine Waffen, keine Drogen, keine Gewalt.“
Grenzüberschreitungen, spielerische und ernsthafte Provokationen – „testen, `ob die Streetworker cool sind`, `mal sehen wer den längeren Atem hat`“ – stehen auf der Tagesordnung. Natürlich kann es dennoch vorkommen, daß trotz vorheriger Absprache unsere Jugendlichen Waffen und Drogen mit sich führen und nicht näher `definierbare Aktionen` planen.
Entscheidend sind dann Kenntnis der Jugendlichen, Erfahrung im Umgang mit Provokationen und deren Einordnung in einen pädagogischen Kontext, ein eingespieltes Team von SozialarbeiterInnen und die Nerven, den richtigen Zeitpunkt der Grenzziehung abzuwarten, d.h. das Gewicht des Einflusses zu konzentrieren.(siehe Anhang 2)
VII. Akzeptierende Jugendsozialarbeit mit dieser Zielgruppe zwingt Sozialarbeiter zur Anerkennung eines realistisch orientierten, humanistisch vertretbaren und notwendigen Minimums an Verhaltensänderungen, die es dem Jugendlichen ermöglichen, beziehungsfähig zu sein, Selbstwertgefühl und tragfähige Momente positiver Identität zu erzielen.
Diese Form der Jugendsozialarbeit holt die Jugendlichen dort ab, wo sie sich tatsächlich befinden. Interessant wird dies von zwei Sozialarbeiterinnen in dem Artikel Jugendgewalt = Jungengewalt dargestellt, die einleitend provokativ behaupten: „Der Begriff der akzeptierenden Jugendarbeit scheint sich in der Mädchenarbeit nicht durchgesetzt zu haben.“
„ Auch wir unterliegen immer der Gefahr, die Mädchen in gemischten Gruppen über ihre Wirkung auf die Jungen zu definieren.
P. hat jetzt kaum noch Zeit für Autoklau- Touren, weil er regelmäßig jobbt. Er will mit S. im Urlaub nach Griechenland und braucht dafür Geld. Bloß gut, S. scheint ihn gut im Griff zu haben …. Auf die Nachfrage, wie S. dies denn sieht: Schulterzucken, Schweigen.“
Es ist Aufgabe der SozialarbeiterInnen, in sochen Fällen aufmerksamer und sensibler zu sein; es sollte nicht Sache von SozialarbeiterInnen sein, dem Mädchen einzureden, daß es ihr dabei schlecht gehen muß. Viele Mädchen finden in solchen Beziehungen, wo sie „positiv“ auf ihren Freund wirken, ein Maß an Anerkennung und Beachtung, das ihnen anderswo verwehrt wird. Dies ist unbedingt zu akzeptieren und anzuerkennen. Es muß Aufgabe von SozialarbeiterInnen sein, mit den Mädchen gemeinsam auch andere, alternative Möglichkeiten zu schaffen, in denen Selbstachtung und Selbstbewußtsein der Mädchen gestärkt werden können.“
Überhöhte Erwartungen an die Jugendlichen und an sich selbst bringen nicht nur Enttäuschungen mit sich, sondern beschränken sehr schnell das Arbeitsfeld. Über die Alltäglichkeit von Rückschlägen in dieser Arbeit berichtet ein Straßensozialarbeiter aus Lichtenberg:
„ Also die Rückschläge in dieser Arbeit sind so erheblich und offensichtlich, daß man einfach darüber hinweggehen muß. Da muß man auch so etwas wie ein Schutzschild aufbauen.
Ein Jugendlicher, der zu mir sagt: `du, ich habe jetzt einen prima Job gefunden`; und ich: ` he Klasse, da freue ich mich`; und dann sagt er `ich werde Zuhälter` . Das sind natürlich Sachen, da mußt du einfach sagen: Ruhe und Humor bewahren und bloß nicht zu hohe Erwartungen an Veränderungsmöglichkeiten stellen.“
Akzeptierende Jugendsozialarbeit erfordert eine den Möglichkeiten und Fähigkeiten der Jugendlichen entsprechend genaue und zugleich flexible Analyse ihrer Lebens- und Bedürfnisstrukturen.
Bei der Ersetzung identitätserzwingenden gewalttätigen Verhaltens durch identitätsfördernde Handlungsalternativen ist zu berücksichtigen, daß insbesondere diesen Jugendlichen im gesamtgesellschaftlichen Rahmen ein relativ geringes Spektrum an Formen der Kompetenzerfahrung und Selbstdarstellungs- bzw. Durchsetzungsformen zur Verfügung steht.
„Einem mit sich selbstbeschäftigten Sozialarbeiter, dem es entgangen ist, daß es doch relativ unrealistisch ist, mit „Hooligans Müllplastiken zu bauen“, verfehlt, wenn auch knapp, das Ziel.“
Unerwünschte Distanz zu Jugendlichen entsteht da, wo man dieses Spektrum nicht zu bedienen weiß. Insbesondere abenteuer- und erlebnispädagogische Ansätze im Sport gilt es zu berücksichtigen.
VIII. Akzeptierende sozialpädagogisch orientierte Arbeit mit dieser Zielgruppe macht nur dann Sinn, wenn:
– die Umsetzung eines Minimums an gesellschaftlich notwendigen Verhaltensanforderungen realistisch erscheint;
– ein Minimum an Formen sozialer Einbindungen gegeben ist;
– sich Jugendliche nicht dem Ansatz von Sozialarbeit entziehen;
– sich Jugendliche nicht kommunikativen Erlebnissen und positiven sozialen Erfahrungen versperren;
– wenn Jugendliche bereit sind, das vorhandene Spektrum individueller gesamtsozialer Handlungsalternativen auszuloten und zu erfahren;
– sich Jugendliche bewußt oder unbewußt, emotional oder rational und auf der Basis von Freiwilligkeit für Denk- und Verhaltensänderungen entscheiden.
IX. „Wenn strafrechtlich relevantes Verhalten keine Konsequenzen nach sich zieht, verliert sich auch Unrechtsbewußtsein – Oder über die Grenzen von Sozialarbeit.“
In Anbetracht der finanziellen Kürzungen für die Jugendsozialarbeit und der politischen Brisanz ist man zuweilen nicht mehr bereit, über Grenzen und Tabus der Sozialarbeit zu debattieren.
(So z.B. über die Funktion der strafrechtlich-juristischen Ebene / Da berichtet ein Jugendlicher: “ So ein Gewalttrip auf ein Ausländerwohnheim ist schon verrückt, was wollt ihr (Sozialarbeit, einschließlich der Formen der Erlebnis- und Abenteuerpädagogik, d.A.) da machen ?“)
Sozialarbeit macht sich unglaubwürdig, wenn sie nicht objektiv und subjektiv bedingte Grenzen aufzeigt.