Akzeptierende Jugendarbeit wird kontrovers diskutiert. Für die einen (BefürworterInnen) gilt er als ein pädagogischer Arbeitsansatz in der Auseinandersetzung mit Jugendlichen, die als besonders schwierig, besonders schwer erreichbar gelten. Akzeptanz in diesem Arbeitsansatz geht davon aus, zunächst die aktuelle Verfasstheit der Jugendlichen ernst zu nehmen, mit denen Sozialarbeit konfrontiert ist – davon auszugehen, dass sie so sind, wie sie sind und nicht, wie man sie gerne hätte. Weiter heisst Akzeptanz an dieser Stelle, aus der subjektiven Sicht der Jugendlichen haben ihre Denk- und Verhaltensweisen Sinn.
Das Ernstnehmen der jugendlichen Hintergründe und Motive ist Basisvoraussetzung für eine Auseinandersetzung mit Jugendlichen, Voraussetzung für die Möglichkeit der Veränderung. Veränderung auffälliger und gewaltbereiter Verhaltensweisen wird nicht als Bedingung sondern als Ziel eines pädagogischen Prozessen beschrieben. Versuche besserwisserischer Aufklärung und moralischer Entrüstung und Belehrung führen in den seltensten Fällen zu einer „Einsicht“ und ggfs. Verhaltensänderung bei Jugendlichen, in vielen Fällen bleiben sie nicht nur wirkungslos, sondern führen zu Abkehr und Verweigerung gegenüber einer von den Jugendlichen als illegitim empfundenen Einmischung. Akzeptierende Jugendarbeit wendet sich ausdrücklich nicht gegen Aufklärung und Wissensvermittlung, bezweifelt aber die Wirksamkeit von auf Zeigefingerpädagogik reduzierten Versuchen der Einflussnahme auf Denk- und Verhaltensweisen Jugendlicher. Versuche, Jugendliche zu immunisieren und/oder zurückzugewinnen für demokratische Verhaltensweisen und Konfliktregelungen können am ehesten wirksam werden, wenn für die Jugendlichen eine Alternative zu bisherigen Sichtweisen sichtbar wird, die für sie als sinnvoller erkannt und erlebt werden kann. ( Dieses gilt nicht nur für die Arbeit mit Jugendlichen. In nahezu allen Beratungs- und Auseinandersetzungsverläufen lassen sich Einstellungs- und Verhaltensänderungen nur erzielen, wenn die Veränderung als sinnvoll anerkannt und erlebbar wird).
Akzeptanz lässt sich nicht übersetzen mit einem evtl. Gutheissen jugendlicher Denk- und Verhaltensmuster. Ebensowenig ist Akzeptierende Jugendarbeit zu übersetzen mit dem Versuch, Verhaltens- und Denkmuster Jugendlicher unter Hinweis auf ihre schwierige Lebenssituation (o.ä.) zu entschuldigen. Das Konzept der Akzeptierenden Jugendarbeit wendet sich deutlich gegen eine falsch verstandene Kumpelpädagogik, die sich Jugendlichen anbiedert oder mit ihnen verbrüdert. Die notwendige Balance von Akzeptanz jugendlicher Denk- und Verhaltensmuster und notwendigen Grenzziehungen gegenüber Jugendlichen geriete hier mit einer unreflektierten Grundhaltung in fatale Schieflagen – im Übrigen kein Problem nur einer Akzeptierenden Jugendarbeit, sondern insgesamt Problem indifferenter pädagogischer Handlungskonzepte.
Im vergangenen Jahr erreichte die Kontroverse um die Akzeptierende Jugendarbeit einen Höhepunkt: die erlebte Praxis in einer Vielzahl von Projekten im Umgang mit rechten Jugendlichen liess Zweifel laut werden an der Wirksamkeit dieses pädagogischen Ansatzes.
Kritiker begründeten ihre Ablehnung des Ansatzes mit Befürchtungen,
* die Gesellschaft gewöhne sich noch mehr an Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Gewalt
* durch die pädagogische Arbeit würden Risiken und Gefahren verharmlost,
* Jugendliche würden in ihrer Einstellung durch das Verbleiben in der Clique verfestigt
* rechtsextremistische Organisationen könnten durch eine unreflektierte Praxis naive Hilfestellungen erfahren.
Akzeptierende Jugendarbeit wendete sich im Ursprungskonzept, Ende der achtziger Jahre in Bremen von Prof. Dr. Franz Josef Krafeld und einer studentischen Gruppe entwickelt, an rechte Jugendliche. Seit 1991 arbeiten im Verein zur Förderung der Akzeptierenden Jugendarbeit e.V., Bremen KollegInnen in rechten Szenen mit rechtsorientierten Jugendlichen. Seit dem Jahr 1995 ist der Verein zusätzlich beauftragt mit der Praxis Aufsuchender Jugendarbeit (Streetwork) in Bremen, mit der sich soziale Arbeit Jugendlichen in unterschiedlichen Cliquen und Riskiosituationen in kleinräumiger Stadtteilarbeit annimmt. Als einer der Initiatoren und Gründer des o.a. Vereins begleitet der Autor im Rahmen von Fortbildung, Qualifizierung und Praxisberatung die Arbeit cliquenorientierter und aufsuchender Projekte. Der Ansatz ist in Erweiterung des Ursprungskonzepts inzwischen Handlungskonzept einer (Jugend)Arbeit mit unterschiedlichen jugendlichen Szenen und Cliquen.
Ein alter sozialarbeiterischer Lehrsatz formuliert „die Klienten da abzuholen, wo sie stehen.“ Sozialpädagogisches Handeln ist in erster Linie ausgerichtet an der Problematik der Person. In erster Linie werden diejenigen Probleme in den Mittelpunkt gestellt, die die Jugendlichen haben, nicht diejenigen, die sie machen. Dieses impliziert ausdrücklich nicht ein (fahrlässiges) Ausblenden der Probleme, die sie bereiten oder evtl. das Fehlen einer klaren Positionierung gegenüber den Denk- und Verhaltenweisen der Jugendlichen. Dennoch: unabhängig von der Würdigung oder Ablehnung seiner Denk- und Verhaltensweisen hat nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz des Bundes (KJHG § 1) und seinen Ausführungsgesetzen in den Bundesländern „jeder Jugendliche ein Recht auf Förderung in seiner Entwicklung“. Dieses gilt für die Jugendlichen, die als delinquent, auffällig und / oder störend gelten ebenso wie für andere, deren Problematik nicht über öffentlich auffällige Verhaltensweisen sichtbar werden, sich vielfach viel mehr im Verborgenen vollziehen.
Akzeptierende Jugendarbeit wendet sich an Jugendliche in Risikolebenslagen, gewährt Lebenshilfe in der Bewältigung eines für viele Jugendliche immer schwieriger werdenden Alltags_ und Orientierungsprozesses.
Im Mittelpunkt des praktischen Handeln einer Akzeptierenden Jugendarbeit stehen Versuche,
+ über Interesse an den Jugendlichen und über Zuhören-Können einen Zugang zu finden zu
Jugendlichen, die häufig ein sehr kritisches und ablehnendes Verhalten haben gegenüber
Kontakten mit staatlicher Jugendarbeit, Behörden und Repräsentanten erwachsener
Generationen.
+ über die gemeinsame Begegnung eine Beziehung und Vertrauen aufzubauen. Dieses ist
eine Grundlage, auf der ein ernstzunehmender Diskurs über Denk- und Verhaltensmuster
überhaupt erst möglich wird;
+ über gegenseitiges Interesse und gegenseitige Akzeptanz mit anderen Wertorientierungen
und Verhaltensweisen zu konfrontieren,
+ die subjektive Funktion von extremen Auffassungen und Gewaltverhalten zu erkennen
und zu ersetzen suchen,
+ sich einzumischen in die Versuche und Bemühungen der Jugendlichen, gesellschaftlich
integriert zu werden,
+ das Bedürfnis Jugendlicher nach konfliktarmen eigenen Treffmöglichkeiten mit
Gleichaltrigen zu unterstützen.
Akzeptierende Jugendarbeit ist kein bedingungsloses und grenzenloses Angebot eines „einseitigen Service“ für Jugendliche. Grenzen Akzeptierender Jugendarbeit sind vor allem da,
+ wo Akzeptanz zur Einbahnstraße verkommt,
+ wo Jugendliche Verkumpelung durchsetzen wollen.
+ wo andere Jugendliche keinen Platz finden,
+ wo andere bedroht sind,
+ wo Jugendarbeit für rechtswidrige Zwecke instrumentalisiert wird,
+ wo Parteilichkeit für Opfer menschlich Vorrang haben muss,
+ wo Jugendarbeit für rechtsextremistische Interessen ausgenutzt wird,
Akzeptierende Jugendarbeit stellt eine doppelte Anforderung:
Sie ist Hinweis auf eine sozialarbeiterische Grundhaltung gegenüber Jugendlichen und ihren Denk- und Verhaltensmustern. Zugleich ist Akzeptierende Jugendarbeit ein professionelles, fachliches Handlungskonzept im Umgang mit besonders schwierigen Jugendlichen. Sie versteht sich als ein kooperierendes, nicht konkurrierendes Angebot von Jugendarbeit mit dem Ziel, Jugendliche zu erreichen, die vielfach von anderen Angeboten von Jugendarbeit nicht oder nur unzureichend erreicht werden / werden können. Dieses sind allzuhäufig von Ausgrenzung, Desintegration und Chancen(un)gerechtigkeit betroffene Jugendliche.
Auch in den fünf neuen Ländern firmieren zahlreiche Projekte unter dem Stichwort der Akzeptierenden Jugendarbeit. In Regionen / Orten, in denen rechte Jugendszenen als Dominazkultur rechten Mainstream formen, erscheint eine akzeptierende Arbeitsweise als fragwürdig. Das Prinzip einer Akzeptierenden Jugendarbeit muss dann eher genau auf die Gruppen orientiert werden, die unter der Dominanz rechter und/oder gewaltförmiger Jugendkulturen diskriminiert und bedrängt werden.
Werden gewaltförmige und/oder rechtsextreme Grundpositionen im (erwachsenen) politischen, kulturellen undsozialen Umfeld Jugendlichen vorgelebt, steht jegliche sozialarbeiterische Intervention auf schlechten Füssen. Rechtsextremismus und Gewalt sind kein originäres Jugendproblem. Eine Gegenstrategie ist nur wirkungsvoll zu entwickeln in einer (Erwachsenen)Gesellschaft, die sich ebenso mit ihren eigenen fremdenfeindlichen Ressentiments, ihrer eigenen Beteiligung an rechtsextremen Denkprositionen und Gewalt beschäftigt.
Akzeptierende Jugendarbeit in einem besonders schwierigen gesellschaftlichem Umfeld kann nur wirksam werden, wenn entsprechende Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt werden.
PraktikerInnen der cliquenorientierten Jugendarbeit sowie der Aufsuchenden Jugendarbeit reklamieren die Notwendigkeit der Einhaltung von (Mindest-)Standards einer professionellen Jugendarbeit, in der eine Problemsituation eingehend analysiert werden kann. (Zu nennen wären hier u.a: Arbeit im –gemischtgeschlechtlichen Team, Praxisberatung und Supervision, Ressopurcenausstattung für die Arbeit mit Jugendlichen). Dieses dient als Voraussetzung zur Entwicklung eines klaren und erkennbaren fachlichen Handlungskonzeptes, mit dem Jugendlichen in der Clique begegnet werden kann mit dem Ziel der Stärkung ihrer positven Kompetenzen und der Einflussnahme auf destruktive, anti-demokratische Denk- und Verhaltensmuster.
Wie diese Gesellschaft Jugendlichen entgegentreten will, die als immer auffälliger, immer schwieriger gelten, als immer…- ist eine gesellschaftlich offene Frage.
Die Auflistung defizitärer Eigenschaften Jugendlicher bis hin zu pathologischen Zuschreibungen könnte lange weitergeführt werden. Jugendliche erscheinen als eine insgesamt besorgniserregende, verwahrloste, leistungsunwillige Generation von Wohlstandskindern mit Anspruchsdenken und Versorgungsmentalität. Die Vielzahl derer, die ihren Weg suchen, und ihn in durchaus gesellschaftsverträglichem Verhalten finden, wird unterschlagen – geschweige denn, daß darüber nachgedacht wird, wie viele Lebensentwürfe (noch) heute von jungen Menschen ausgehen. Öffentliche Äusserungen politischer Repräsentanten ziehen sich durch die jüngere Geschichte. Erinnern wir an den glorreichen Franz Josef Strauss „Wer arbeiten will, der findet auch welche“; Helmut Kohl, einige Jahre später„ wer keine Ausbildung findet, ist nicht ausbildungswillig oder nicht ausbildungsfähig“. Das Wort ging um vom vermeintlichen „Ausruhen in der Hängematte unseres Wohlfahrtsstaates“.Eine ähnliche Denkposition lässt auch im Frühjahr 2001 der heutige sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder durchscheinen, wenn er jungen Menschen vorwirft, sie seien nicht leistungsbereit, sie wollten nicht arbeiten, seien Drückerberger“. Seine Gattin schliesst sich an mit dringlichen Empfehlungen zu mehr Strenge in der Erziehung von Kindern (Spiegel Heft 22/2001), die moralische Festigkeit der Kinder und Jugendlichen sei nur so zu fördern und zu stärken.
Nicht Akzeptanz und Auseinandersetzung mit Jugendlichen Denk- und Lebensmustern wird eingefordert, mit sanktionierender Strenge, Kontrolle und Grenzziehungen soll „die. Jugend“ in die Gesellschaft integriert werden. Aber: kein Jugendlicher mutierte quasi über Nacht oder nach einem langen Videoabend zu einem kriminellen Gewaltstraftäter. Auch genetische Fehler der heutigen Generation Jugendlicher lassen sich trotz intensiver Suche nicht finden.
Eine oberflächliche Betrachtung der Jugendsituation könnte dazu verleiten, diese für so gut wie nie zuvor zu halten. Eine analytische Betrachtung, die zumindest einige Puzzleelemente von Forschungsegbnissen aus soziologischer, psychologischer als auch vielleicht kriminologischer Forschung zuhilfe nimmt, kommt zu anderen Ergebnissen. Ein Beispiel: aus Untersuchungen des BKA geht hervor, daß ca 85 % aller Jugendlichen GewalttäterInnen in ihrer Lebensgeschichte selbst Opfer von Gewalt gewesen sind.
Das Aufwachsen in der Bundesrepublik Deutschland, einer sich immer schneller verändernden Umwelt, ist um vieles schwerer geworden als mit oberflächlichen Blick zu vermuten ist. Kinder und Jugendliche entwickeln ihre Denk- und Verhaltensmuster in der Auseinandersetzung mit dem, was wir ( die Erwachsenengesellschaft) ihnen anbieten, was sie in ihrem sozialen Umfeld erleben. „Im Grund gibt es nur eine richtige Erziehung (Pädagogik) – das Aufwachsen in einer Welt, in der zu leben sich lohnt. Unsere gesteigerte Sorge um die Probleme der Erziehung (Jugend) bedeutet in der Tat, daß die Erwachsenen eine solche Welt nicht haben…Ich setze voraus, daß die Jugend wirklich eine Welt braucht, in der zu leben sich lohnt, damit sie überhaupt aufwachsen kann; und diesem echten Bedürfnis stelle ich eine Welt gegenüber, die sie vorgefunden hat. Daran liegt die Ursache (!) ihrer Probleme. (Paul Goodman, Kulturkritiker und Soziologe, 1956; zitiert nach Gunter A.Pilz, in Jugend und Gesellschaft, 1/9o, S. 7)
Kontakt:
Andrea Müller
LidiceHaus Jugendbildungsstätte Bremen
Tel: 0421 / 69272 – 13
e-mail: amueller@jugendinfo.de
17. 06. 2001
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