Straßensozialarbeit in Berlin

Täter-Opfer-Ausgleich: Versöhnen statt strafen?

Ein Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) bietet für Opfer und Täter von Straftaten die Möglichkeit, außergerichtlich und unter Beteiligung eines unparteiischen Dritten eine Regelung von Konflikten zu erarbeiten: Versöhnen statt Strafe steht im Vordergrund.

Zum Verständnis: Gesetzestexte

§ 10 JGG Weisungen

(1) Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern oder sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Der Richter kann dem Jugendlichen insbesondere auferlegen
1.-6. (…)
7. sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich).
(…)

§ 15 JGG Auflagen

(1) Der Richter kann dem Jugendlichen auferlegen,

  1. nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen,
  2. sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen

(…)

§ 45 JGG Absehen von der Verfolgung

(1) (…)
(2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Absatz 3 noch die Erhebung einer Klage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) (…)

§ 46a StGB Täter-Opfer-Ausgleich und Schadenswiedergutmachung

Hat der Täter
1. in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt oder
2. in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat, das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt,
so kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs.1 mildern oder, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu dreihundertsechzig Tagessätzen verwirkt ist, von Strafe absehen.

Für Eilige: Kurzfassung

  • Ein sog. Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) ist eine Alternative oder Ergänzung zu einer Strafe wie Freiheitsstrafe o.a. im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht. TOA kann so aussehen, dass sich der Täter bei dem Opfer einer Beleidigung persönlich entschuldigt oder dem Opfer während seiner Genesung nach einer Körperverletzung hilft, indem der Täter für das Opfer z.B. einkaufen geht.
  • Im Jugendstrafrecht kann der TOA auch schon von der Jugendgerichtshilfe (JGH) als sog. „Diversion“ angeregt werden, d.h. wenn das Gericht zustimmt, kommt es zu keinem Prozess, sondern die Sache wird durch einen TOA erledigt. Die JGH betreut dann die Durchführung auch auf der Grundlage des § 52 SGB VIII/KJHG.
  • Im Jugendstrafrecht kann der TOA als Weisung durch den Richter ausgesprochen werden. Hier stehen pädagogische Motive im Vordergrund – der Täter soll mitbekommen, welche Schmerzen z.B. er dem Opfer zugefügt hat.

Für Ausdauernde: Einzelne Erklärungen

1. Was ist Täter-Opfer-Ausgleich? Welches Ziel wird damit verfolgt?

Anstatt den (jugendlichen) Täter durch Geldstrafe oder Freiheitsentzug zu bestrafen, kann ein Täter-Opfer-Ausgleich so aussehen, dass das Gericht dem Täter z.B. als Weisung aufgibt, sich bei „seinem“ Opfer einer Beleidigung persönlich zu entschuldigen oder dem Opfer während seiner Genesung nach einer Körperverletzung zu helfen, indem der Täter für das Opfer z.B. einkaufen geht. TOA kann aber auch so aussehen, dass in einem gemeinsamen Gespräch unter Beteiligung von einem Dritten das Opfer dem Täter darlegen kann, wie es sich als Opfer fühlt, was die Tat mit ihm angerichtet hat – es geht dabei um gegenseitiges Verständnis mit dem Gedanken, dass der Täter eher von einer solchen persönlichen Schilderung beeindruckt ist als von einer formalen und unpersönlichen Verhandlung vor Gericht. Insofern werden auch die Interessen des Opfers aufgewertet.

Möglich sind auch Arbeitsleistungen für den Geschädigten, z.B. Entfernen von Graffiti oder gemeinsame Aktionen von Tätern und Geschädigten, so z.B. bei rivalisierenden Jugendbanden, um kulturelle, rassistische u. a. Vorbehalte auszuräumen. Es kann z.B. auch Geschenke als symbolische Geste der Entschuldigung und Versöhnung geben.

Letztlich kommen finanzielle Leistungen an den Geschädigten in Frage. Dabei verpflichten sich die Täter vertraglich, entweder das Geld in angemessenen Raten zurückzuzahlen oder dafür in gemeinnützigen Einrichtungen Arbeitsleistungen zu erbringen. Bei nicht vorhandenen Mitteln des Täters können die Zahlungen u.U. aus einem sog. Opferfonds geleistet werden. Diese Opferfonds werden größtenteils durch anderweitig erlangte Bußgeldzahlungen gespeist.

Der Vorzug gegenüber der bloßen Repression – also Bestrafung – z.B. durch Haft wird darin gesehen, dass der TOA Erziehungsmittel für den Täter ist, dem der von ihm angerichtete Schaden bewusst gemacht wird. Zugleich werden aber genauso die Tatopfer beachtet, deren legitimes Interesse sich auf Genugtuung und Wiedergutmachung richtet.

2. Welche Vorteile hat der Täter-Opfer-Ausgleich für die Beteiligten?

Opfer von Straftaten werden im strafrechtlichen Verfahren nicht ausreichend beteiligt (es gibt aber die Möglichkeit der Nebenklage, die dem Opfer eingeschränkt Einwirkung auf das Verfahren erlaubt) und als Zeugen funktionalisiert.

„Reden“, um ihrem Ärger und ihren Interessen an Wiedergutmachung sowie Schadensersatz Ausdruck zu verleihen, ist in einem Gerichtsverfahren nicht vorgesehen. Es geht dem Opfer oftmals jedoch nicht primär darum, den Täter einfach durch den Staat bestraft zu wissen.
So kann das Opfer, um Angst und Ärger hinter sich zu lassen, im Rahmen eines TOA seine ganz persönlichen Interessen an Ausgleich und Wiedergutmachung zum Ausdruck bringen.

Für einen Straftäter bietet der TOA die Möglichkeit, seine Einsicht in begangenes Unrecht durch Wiedergutmachungsleistungen und Entschuldigung zum Ausdruck zu bringen. Viele Täter sind bereit, sich mit ihrer Tat in der persönlichen Begegnung mit dem Opfer auseinanderzusetzen. Möglicherweise führt diese Erfahrung auch zu einem rechtstreuen Verhalten des Täters.

In einem Strafprozess wird das Sanktionsinteresse des Staates verfolgt. Abgesehen von der Möglichkeit der Nebenklage, welche gem. § 395 StPO nur bei den dort aufgezählten Delikten möglich ist, finden Opferinteressen im Strafverfahren keinen Raum. Diese Formalisierung führt dazu, dass in Prozessen oftmals eine „zweite Viktimisierung“ stattfindet – durch die unzureichende Beteiligung des Geschädigten wird dieser nochmals zum Opfer in einem formalisierten, die persönlichen Belange missachtenden Prozess.

3. Wo steht der Täter-Opfer-Ausgleich im Gesetz geregelt? Wann kommt er in Frage?

TOA soll im Jugendstrafreccht zur Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung führen oder zumindest eine Strafmilderung erreichen. Der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) wird im unteren und mittleren Kriminalitätsbereich (Beleidigung, Sachbeschädigung, einfache Körperverletzung usw.) angewandt und dient zur Verbesserung des Opferschutzes sowie der Vermeidung der rein repressiven Bestrafung durch Freiheitsentzug oder Geldstrafe.

TOA gibt es im Erwachsenenstrafrecht in den §§ 46a, 56 II, 56b II, 59a II StGB; er ist dort als Möglichkeit der Strafmilderung oder des Absehens von Strafe, als Bewährungsgrund und als Auflage und Verwarnung an einen Täter vorgesehen.

Im Jugendstrafrecht ist der TOA in den § 10 Abs. 1 Nr. 7, § 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2 und § 45 II JGG in Form einer Weisung oder Auflage bzw. als Grund zum Absehen von Strafe vorgesehen.

4. Wer ist zuständig für einen Täter-Opfer-Ausgleich?

Die Staatsanwaltschaft und/oder das Gericht entscheiden, welche anhängigen Strafverfahren für einen TOA in Frage kommen könnten. Das Verfahren wird dann an einen externen Konfliktbearbeiter übergeben. Das kann schon im Vorverfahren passieren oder nachdem die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen wurde (also nach Erhalt der Anklageschrift).
Ist das Verfahren noch nicht beim Gericht angelangt (anhängig), können Täter wie Geschädigte sich direkt bei der Fachstelle für Täter-Opfer-Ausgleich melden mit der Bitte, in einem strafrechtlich relevanten Konflikt zu vermitteln.
Die Vereinbarung über die Wiedergutmachung erarbeiten die Beteiligten unter der Anleitung des Konfliktberaters. Diese Konfliktberater sind bei der Gerichtshilfe, Jugendgerichtshilfe oder freien Trägern angesiedelt.
Weitere Informationen gibt es u.a. hier (dort gibt es einen Flyer zum TOA als Download).

Kontakt
Soziale Dienste der Justiz

Standort Wedding/Mitte
Schönstedtstraße 5
13357 Berlin
Tel.: (030) 90156-322

Oder

 

5. Wie läuft ein Täter-Opfer-Ausgleich ab?

In einem gemeinsamen Gespräch werden die unterschiedlichen Sichtweisen des Vorfalles dargelegt und es kommt zu einer Aufarbeitung der emotionalen Situation bei Geschädigtem und Täter. Nachdem die materiellen Ansprüche geklärt sind, wird eine Vereinbarung über die konkrete Wiedergutmachung erarbeitet.

Zur Kontrolle werden durch den Konfliktbearbeiter an den Richter bzw. den Staatsanwalt Berichte über die Schritte des TOA übergeben. Kommt der Täter seine Verpflichtungen aus der Vereinbarung zur Wiedergutmachung nach, so wird durch den Richter bzw. den Staatsanwalt über die Einstellung des Verfahrens entschieden.

Im Erwachsenenstrafrecht wird ein TOA nur durch das Gericht, also in der Regel den Richter, festgesetzt. Das kann dazu führen, dass wegen des TOAs die eigentliche Strafe gemildert, ganz von Freiheits- oder Geldstrafe abgesehen oder zwar eine Freiheitsstrafe verhängt wird, die aber zur Bewährung ausgesetzt wird. Der Täter bewährt sich z.B. dann dadurch, dass er bei einem TOA mitwirkt. Daneben kann ein TOA auch Inhalt einer Auflage sein, die der Verurteilte zu erfüllen hat.

Im Jugendstrafrecht kann ein TOA schon vor einer Gerichtsverhandlung von der Staatsanwaltschaft eingeleitet werden – sie sieht dann von der Verfolgung der Straftat ab.

Ein Täter-Opfer-Ausgleich kann auf verschiedenen Wegen ereicht werden, d.h. es kommt nicht zu einem förmlichen Gerichtsverfahren, wenn die Jugendgerichtshilfe (JGH) der Ansicht ist, dass ein Täter-Opfer-Ausgleich angebracht ist (grundsätzlich kommen auch andere Jugendhilfeangebote in Frage). Im Ergebnis wird das Verfahren eingestellt (vgl. § 45 JGG). Diese Form der Einstellung nennt sich „Diversion“.

Kommt es zu einer Hauptverhandlung gegen den Jugendlichen, dann kann das Gericht – anstelle eine Strafe zu verhängen – dem Jugendlichen auch eine Weisung erteilen, einen TOA durchzuführen (vgl. § 10 Abs.1 Nr.7 JGG).

Erwähnenswert ist noch, dass die Durchführung eines TOA kostenfrei ist.