Keine strafbare Körperverletzung bei Einwilligung der verletzten Person: § 228 StGB, allerdings Ausnahmen und Grenzen
Gesetzestext:
§ 228 StGB Einwilligung des Verletzten
Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.
Praktische Einstiegsfragen:
– Paul verdrischt seinen minderjährigen Freund krankenhausreif und wird wegen Körperverletzung von den Eltern des Freundes angezeigt.
Was passiert, wenn
a) der Freund vor der Richterin aussagt, er hätte Paul gebeten, ihn „zum Training“ zu verprügeln, damit er – der Freund – sich in Verteidigung üben kann.
b) der Freund zwar vorher mit Paul verabredete, ein bißchen zu raufen, aber solche Ausmaße nicht wollte?
c) der Freund im volltrunkenen Zustand zu Paul sagte: „Verprügelt werden ist geil! Schlag mich, Paul!“?
d) der Freund sich hat verprügeln lassen, weil es ihn sexuell erregt und er so mit Paul sado-masochistische Vorlieben ausleben konnte?
– Wird ein Autofahrer wegen Körperverletzung am Fahrgast bestraft, wenn der Fahrgast in dem Wissen einsteigt, dass der Fahrer betrunken ist, und beide einen Unfall mit Körperschäden erleiden?
– Wann ist eine Körperverletzung sittenwidrig?
– Kann das Opfer in seine eigene Tötung einwilligen, so dass der Täter nicht bestraft wird?
– Was passiert, wenn der Täter fälschlicherweise annimmt, das Opfer habe eingewilligt?
Kurzfassung:
– Eine Körperverletzung wird nicht bestraft, wenn das Opfer in diese eingewilligt hat,
§ 228 StGB.
– Eine Einwilligung muß vor der Tat entweder ausdrücklich oder stillschweigend erklärt werden. Beispiel: Setzt sich jemand wissentlich zu einem betrunkenen Fahrer in das Auto, ist das eine konkludente (stillschweigende) Einwilligung in mögliche nachfolgende (fahrlässige) Körperverletzungen durch vom Fahrer verursachte Unfälle.
– Die Einwilligung darf nicht erschlichen oder durch Drohung erpreßt worden sein. Außerdem muß das Opfer ausreichend einsichts- und urteilsfähig sein. Volljährigkeit ist aber keine Voraussetzung!
Beispiel: Ein Kind kann nicht abschätzen, welche Gefahr es bedeutet, wenn der Vater es mit Alkohol „abfüllt“. Dann: Körperverletzung durch Alkoholvergiftung.
– Grenzen der Einwilligung: In seine eigene Tötung oder Kastration kann man nicht einwilligen.
– Nimmt der Täter fälschlicherweise an, das Opfer habe eingewilligt, dann wird er nicht wegen einer vorsätzlichen, sondern wegen einer fahrlässigen Körperverletzung, § 229 StGB, bestraft.
Übersicht:
1. Bedeutung der Regelung
2. Einzelheiten
2.1. Grundlage: Körperverletzung
2.2. Die Einwilligung des Opfers/Verletzten
2.2.1. Kundgabe der Einwilligung vor der Tat
2.2.2. Wirksamkeit der Einwilligung, Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Opfers
2.2.3. So nicht bei Betrug, Erschleichen u.ä.
3. Ausnahmen: Trotzdem strafbar bei Sittenwidrigkeit
3.1. Beispiele: Organverkauf, Kastration, Selbsttötung
3.2. Täter nimmt fälschlicherweise Einwilligung des Opfers an
1. Bedeutung
Wenn das Opfer vorher in die Körperverletzung eingewilligt hat, macht sich der Täter nicht strafbar, obwohl er tatsächlich (objektiv tatbestandlich) die Handlung einer Körperverletzung am Opfer vornimmt.
Die Tat wird nicht bestraft, weil sie wegen der Einwilligung nicht rechtswidrig war. Rechtswidrig kann eine Tat nur sein, wenn sie den Rechtsgütern des Opfers – hier Gesundheit und körperliche Unversehrtheit – einen Schaden zufügt und dafür keine Rechtfertigungsgründe eingreifen.
Will das Opfer den Schaden, muss es nicht mehr durch Gesetze geschützt werden, indem der Täter bestraft wird. Die Tathandlung ist wegen der Einwilligung rechtmäßig.
Es gibt allerdings Grenzen: es wird eine Körperverletzung trotz Einwilligung bestraft, wenn die Einwilligung sittenwidrig ist. Daneben kann das Opfer in seine Tötung nicht einwilligen – das eigene Leben ist kein Rechtsgut, über das man frei verfügen kann.
2. Einzelheiten
2.1. Grundlage: Körperverletzung nach den §§ 223 ff. StGB
Als Voraussetzung muß eine Körperverletzung vorliegen. Das kann eine vorsätzliche oder auch fahrlässige KV sein.
2.2. Einwilligung des Opfers
Damit diese Körperverletzung nicht bestraft wird, muß das Opfer in sie eingewilligt haben. Die Einwilligung muß folgende Voraussetzungen erfüllen:
2.2.1. Kundgabe
Sie muß vor der Körperverletzung vom Opfer gegenüber dem Täter kundgetan worden sein. Eine nachträgliche Genehmigung reicht nicht aus!
Der Grund, dass ein „nachträgliches Einverständnis“ bzw. eine Genehmigung nicht rechtfertigend wirkt, ist der, dass der Täter ansonsten das Opfer unter Druck setzen könnte, vor Gericht (also nachträglich) die Tat zu „genehmigen“. Die Folge wären angefangene und abgebrochene Prozesse und ein wirkungsloser Opferschutz.
2.2.2. Wirksamkeit im juristischen Sinne
Die Einwilligung muss „wirksam“ sein: Das setzt voraus, daß sie von einem im Hinblick auf die konkrete Sachlage einsichts- und urteilsfähigen – sei es auch noch minderjährigen – Opfer erteilt worden ist. Die Einwilligungsfähigkeit ist hier nicht gekoppelt an die zivilrechtliche Geshäftsfähigkeit. Sie beurteilt sich vielmehr nach der tatsächlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit desjenigen, der auf den Schutz seines Rechtsgutes verzichtet. Damit ist ein 15jähriger aller Wahrscheinlichkeit nach einsichtsfähig, ein 7jähriger eher nicht.
Das Opfer muß entweder ausdrücklich oder stillschweigend (konkludent) gezeigt haben, daß es einer Körperverletzung an sich durch den Täter zustimmt.
Beispiel: Eine stillschweigende Einwilligung ist dann gegeben, wenn der Beifahrer zu dem angetrunkenen Fahrer in das Auto steigt, obwohl der Beifahrer sieht, dass der Fahrer betrunken, also fahruntüchtig ist. In dem Moment weiß er um die Unfall- und Körperverletzungsgefahr und zeigt durch sein Einsteigen, dass es ihm „egal“ ist, wenn er verletzt wird.
Das wird allerdings bei einem geistig-behinderten Menschen anders zu beurteilen sein: Ihm fehlt die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit, die Gefahr der Lage zu erkennen. Er kann also gar nicht einwilligen, auch wenn er gefragt wird, ob er trotz der Betrunkenheit des Fahrers mitfahren will und dann „Ja.“ sagt.
Im Beispiel der Einstiegsfragen unter a) hat der Freund in die Körperverletzung während des Kampftrainings mit Paul eingewilligt. Paul ist nicht strafbar.
Im Beispiel unter b) hat der Freund zwar eingewilligt, aber nur in Körperverletzungen, die typischerweise beim „bisschen Raufen“ entstehen: Blaue Flecke, verstauchter Finger.
Geht der Täter über das Verabredete hinaus (aus dem Raufen wird ein handfester Angriff), bezieht sich die Einwilligung nicht auf diese Folgen: damit liegt ein „Exzess“ vor – für diesen wird der Täter bestraft, weil darin nicht eingewilligt wurde.
2.2.3. Betrug und Drohung
Wirksam ist die Einwilligung nicht, wenn der Täter sie sich vom Opfer durch Betrug erschlichen hat, sie erpresst hat, oder das Opfer z.B. betrunken, bekifft o.ä. war. Daher keine Einwilligung des volltrunkenen Freundes in den Einstiegsfragen unter c)!
2.2.3. Kenntnis der Einwilligung durch Täter
Der Täter muß die Einwilligung des Opfers zumindest kennen. Ob die Verletzung ihm daneben selber auch noch Spaß macht, ist egal. Strafbar ist er aber, wenn er ohne die Kenntnis der Einwilligung des Opfers handelt, z.B. weil er die Einwilligung nicht gehört, nicht verstanden hat. Dann handelt der Täter wiederum in der Absicht, die Unversehrtheit eines anderen gegen seinen (scheinbaren) Willen zu beeinträchtigen.
3. Ausnahme: Sittenwidrigkeit der Körperverletzung
Trotz Einwilligung des Opfers ist die Körperverletzung strafbar, wenn die Tat (nicht die Einwilligung!) „sittenwidrig“ ist.
Der Begriff der Sittenwidrigkeit ist ziemlich unbestimmt. Daher ist § 228 StGB nur dann verfassungskonform, wenn der Begriff der Sittenwidrigkeit äußerst eng ausgelegt wird.
Sinn: Diese Regelung beruht auf einer ethisch-moralischen Wertung der Gesellschaft und ist damit wandlungsfähig, d.h. es kommt oftmals auf die Auffassungen des Gerichtes an, was es als „sittenwidrig“ sieht. Mit der zunehmenden Liberalisierung der Gesellschaft nehmen die Anwendungsfälle ab, d.h. je mehr die Gesellschaft toleriert, also als „normal“ ansieht, desto weniger Fälle von Einwilligungen werden als sittenwidrig eingeordnet.
Gemessen muss die Sittenwidrigkeit werden an Art und Gewicht des Erfolges der Körperverletzung, weil nur im Bereich von erheblichen Verletzungen generalpräventiv-fürsorglich durch den Staat eingegriffen werden darf.
3.1. Beispiele
Sittenwidrig ist es, sich seine Organe entnehmen zu lassen, um sie aus rein finanziellen Erwägungen zu verkaufen.
Sittenwidrig ist es, in seine eigene Tötung einzuwilligen. Auch hier besteht eine gesellschaftliche, ethische Bewertung im Hintergrund: Das Leben ist ein derart hohes Rechtsgut, daß nicht einmal man selbst in sein Aufgeben einwilligen kann. Deswegen ist auch die Tötung auf Verlangen bzw.
Sterbehilfe strafbar (§ 216 StGB).
Im Rahmen von sado-masochistischen Sexualpraktiken liegt Sittenwidrigkeit nur dann vor, wenn dadurch schwere, an § 226 StGB heranreichende Verletzungen eintreten oder es zu einer konkret lebensgefährlichen Handlung kommt. (Früher wurde dies durchaus anders bewertet.)
In der Einstiegsfrage unter d) könnte Paul aber trotz Einwilligung des Freundes wegen Körperverletzung bestraft werden, wenn es dabei zu erheblichen Verletzungen käme (Abtrennung von Gliedmaßen bspw.).
Es ist nicht sittenwidrig, sich kastrieren zu lassen, wenn der Betroffene einwilligt (§§ 2, 3 KastrG).
3.2. Irrtum des Täters über das Vorliegen einer Einwilligung
Nimmt der Täter fälschlicherweise an, dass das Opfer in die Körperverletzung eingewilligt hat, dann wird er nicht wegen einer vorsätzlichen, sondern wegen einer fahrlässigen Körperverletzung bestraft – diese hat ein geringeres Strafmaß. Dies gilt auch dann, wenn der Täter eine unwirksame Einwilligung für wirksam hält.