Zum besseren Verständnis: Der Gesetzestext

§ 30 ASOG Gewahrsam

(1) Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn
1. das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben unerläßlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet,
2. das unerläßlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern,
3. das unerläßlich ist, um eine Platzverweisung oder ein Aufenthaltsverbot nach § 29 oder eine Wegweisung oder ein Betretungsverbot nach § 29 a durchzusetzen,
4. das unerläßlich ist, um private Rechte zu schützen, und eine Festnahme oder Vorführung der Person nach den §§ 229, 230 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches zulässig ist.

(2) Die Polizei kann Minderjährige, die sich der Obhut der Sorgeberechtigten entzogen haben, in Gewahrsam nehmen, um sie den Sorgeberechtigten oder dem Jugendamt zuzuführen.

(3) Die Polizei kann eine Person, die aus dem Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Justizvollzugsanstalt aufhält, in Gewahrsam nehmen und in die Anstalt zurückbringen.

§ 31 ASOG, Richterliche Entscheidung

(1) Wird eine Person auf Grund von § 20 Abs. 3, § 21 Abs. 3 Satz 3 oder § 30 festgehalten, hat die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen. Der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung bedarf es nicht, wenn anzunehmen ist, daß die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahmen ergehen würde.
(2) Ist die Freiheitsentziehung vor Erlaß einer gerichtlichen Entscheidung beendet, kann die festgehaltene Person innerhalb eines Monats nach Beendigung der Freiheitsentziehung die Feststellung beantragen, daß die Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen ist, wenn hierfür ein berechtigtes Interesse besteht.
(3) Für Entscheidungen nach den Absätzen 1 und 2 ist das Amtsgericht Tiergarten zuständig. Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften des Buches 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. In Fällen des Absatzes 2 ist die Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts über eine Beschwerde nur statthaft, wenn das Landgericht sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt. Für die Gerichtskosten gelten die Vorschriften über die Kostenerhebung in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Gebühren werden nur für die Entscheidung, die die Freiheitsentziehung für zulässig erklärt, sowie das Beschwerdeverfahren erhoben.

Für Eilige: Kurzfassung

– Grundsätzlich kann Gewahrsam als Freiheitsentzug nur aufgrund richterlicher Anordnung durchgeführt werden. Dafür beantragt die Polizei vorher beim Gericht eine entsprechende richterliche Entscheidung. Auch RichterInnen können keinen Freiheitsenzug über 48 Stunden hinaus aufgrund von § 30 ASOG anordnen.
– Praxisrelevant ist eher der Fall, daß die Polizei jemanden ohne vorherige richterliche Anordnung in Gewahrsam nimmt. Dann ist sie verpflichtet, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit und Fordauer der Maßnahme einzuholen, § 31 Abs.1, Satz 1 ASOG.
– Dieses Erfordernis entfällt, wenn die Einholung der richterlichen Entscheidung länger als die eigentliche Gewahrsamnahme dauern würde – meistens der Fall bei vorläufiger Freiheitsentziehung wegen drohender Gefahr, vgl. § 31 Abs.1, Satz 2 ASOG.
– Gegen die vor Gewahrsamnahme ergehende richterliche Entscheidung kann Beschwerde beim Amtsgericht Tiergarten eingelegt werden.
-Zuständig für den nachträglichen Rechtsschutz gegen bereits beendete Maßnahmen ist ebenso das Amtsgericht Tiergarten, § 31 Abs.2 ASOG.

Für Ausdauernde: Einzelne Erklärungen

Freiheitsentzug so einfach durch die Polizei?

Könnte die Polzei selbständig über Eingriffe in die Rechte von BürgerInnen entscheiden, so wäre das grundgesetzliche Prinzip der Gewaltenteilung verletzt. Die Polizei (als Exekutive) darf grundsätzlich nur aufgrund richterlicher Anordnung (also der Judikative) einer Person die Freiheit entziehen. Eine Gewahrsamsnahme (im Sinne des ASOG) ist nur bei Vorliegen einer Gefahr möglich, nicht aus Strafbarkeitsgründen.
Wenn es aber mal schnell gehen muss, darf die Polizei auch ohne vorherigen richterlichen Beschluss handeln – dann muss sie jedoch unverzüglich richterlich überprüfen lassen, ob sie so rechtmäßig gehandelt hat.

Wann darf die Polizei ohne richterliche Anordnung einsperren?

Sie darf bei drohender Gefahr bzw. Gefahr im Verzug jemanden in Gewahrsam nehmen (sprich einsperren), weil ansonsten die Polizei- und Ordnungsbehörden nicht effektiv arbeiten können. Um diese Durchbrechung der Gewaltenteilung zu mildern, ist grundsätzlich unverzüglich eine richterliche Entscheidung einzuholen – mit einer Ausnahme: Zum Richter zu gehen, würde länger als die Gewahrsamnahme dauern (§ 31 Abs.1, Satz 2 ASOG).
Die Dauer darf höchstens 48 Stunden betragen, wenn es nur um die Feststellung der Identität geht, nur 12 Stunden (§ 33 ASOG).

Beispiel: Ein Betrunkener wird spät abends in Schutzgewahrsam genommen. Die Ausnüchterung dauert bis zum nächsten Morgen. Dann fällt der Grund der Maßnahme weg – die Person ist zu entlassen. Vor der Ausnüchterung war aber eine richterliche Entscheidung nicht möglich, weil der Betrunkene weder anhör- noch vorführfähig war.

“Unverzüglich” zum Richter bedeutet, daß die richterliche Entscheidung ohne objektiv sachlich gerechtfertigte Verzögerung eingeholt werden muß. Es heißt also nicht “sofort”, sondern mit der nach Lage der Sache und unter Berücksichtigung des Geschäftsverhältnisse der Polizei notwendigen Beschleunigung.
Die RichterInnen überprüfen durch Befragung, ob die PolizistInnen das Bestehen einer Gefahr annehmen durften, ob Gewahrsam notwendig ist und wie lange er noch andauern soll.

Was kann man sofort dagegen tun? – Rechtsschutz

Wenn die Polizei ohne richterliche Anordnung eingesperrt hat, hat die betroffene Person das Recht, gegen die Freiheitsentziehung vorzugehen.

Wird der Betroffene festgehalten, so ist er über die ihm zustehenden Rechtsmittel zu belehren (§ 32 Abs.1 Satz 2 ASOG).
Zuständig ist das Amtsgericht Tiergarten, vor diesem findet dann eine mündliche Anhörung des Betroffenen und ev. der gesetzlichen Vertreter statt.

Hat die Polizei mit richterlicher Anordnung eingesperrt, geht man direkt gegen die Entscheidung des Richters vor. Dem Betroffenen, bzw. dem gesetzlichen Vertreter (i.d.R. den Eltern) steht das Recht zur sofortigen Beschwerde zu.

Am einfachsten ist es, entweder auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Tiergarten  die Beschwerde mündlich zu Protokoll zu geben. Denn dann bekommt man von den zuständigen RechtspflegerInnen Unterstützung bei den Formalien.

Was kann man nachträglich dagegen tun? Wie wehrt man sich?

Auch nach Beendigung der Freiheitsentziehung kann die betroffene Person gerichtlich überprüfen lassen, ob die Maßnahme rechtmäßig gewesen ist (für die Fachleute: Fortsetzungsfeststellungsklage).
Natürlich ist nichts rückgängig zu machen – bei einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung bekommt man aber u. U. Schadensersatz (§ 60 Abs.2 ASOG). Die Frist für die Antragstellung auf Feststellung, daß die von der Polizei angeordnete Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen ist, beträgt einen Monat und beginnt nach Beendigung der Freiheitsentziehung (§ 31 Abs. 2 ASOG).

Wo findet man die Adressen der Gerichte in Berlin?

Hat man etwas Schriftliches in der Hand, muss in der sog. Rechtsmittelbelehrung das zuständige Gericht und dessen Adresse genannt sein. Ansonsten findet man eine Übersicht z.B. bei „berlin.de“

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