Eine Zusammenfassung der aktuellen Entwicklungen seit dem 2. Fachgespräch zum Thema “aufsuchende Arbeit mit Erwachsenen im öffentlichen Raum”

Am 22.02.2012 trafen sich 50 interessierte und engagierte Menschen aus Politik und Verwaltung, aus Einrichtungen und Institutionen und Anwohner_innen des Platzes “an der Kugel” im Kosmosviertel zu einem angeregten Austausch mit anschließender Festlegung weiterer Vorgehensweisen. Dieses 2. Fachgespräch zum Thema “aufsuchende Arbeit mit Erwachsenen im öffentlichen Raum” koordinierte das Engagement der Beteiligten in drei Bereichen: Arbeit und Wohnen, Öffentlicher Raum/Grünfläche und Konsum am Kugeltreff.
Nach mehreren Treffen der Arbeitsgruppen lassen sich folgende Entwicklungen festhalten:

1. Arbeit und Wohnen
Das Fehlen von Arbeitsangeboten nannten fast alle von uns betreuten Anwohner_innen als ihr vordringlichstes Problem, das auch die größte (psychische) Belastung für sie darstellt. Fast alle leben von Transferleistungen, meist ALG II oder Grundsicherung. Entgegen allen Vorurteilen sind die Arbeitsbereitschaft und der Wunsch, Zeit damit sinnvoll verbringen zu können, sehr stark. Dahinter steht immer auch das Bedürfnis, als gleichwertiger Teil unserer Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Und überhaupt wahrgenommen zu werden. Das Gefühl des “Abgehängt seins” wird bei den Anwohner_innen durch die randständige Wohnlage, die ihnen nur eine stark eingeschränkte persönliche Mobilität erlaubt, teilweise noch verstärkt.
Die AG Arbeit, in der auch unterschiedliche Abteilungen des Job Centers mitarbeiten, gibt Anwohner_innen die Möglichkeit, ihre Vorstellungen und Bedürfnisse direkt an die zuständigen Menschen zu bringen.
Um den Erfolg vorweg zu nehmen: Aktuell konnten sechs neue MAE-Stellen an Anwohner_innen vermittelt werden. Leider war das aber auch schon die positive Bilanz für dieses Jahr. Gesetzliche Vorschriften in diesem Bereich sind kaum flexibel und erlauben weder eine individuelle Anpassung von Arbeitsmaßnahmen noch eine von uns angestrebte Nachhaltigkeit, z.B. durch aufeinander abgestimmte Folgemaßnahmen. So mischt sich in die Freude über eine neue Arbeitsmöglichkeit bereits das Wissen darum, das diese nur von kurzer Dauer ist und danach erstmal wieder alles sein wird wie vorher. Daran konnte auch das große Engagement aller Beteiligten nichts ändern.
Trotzdem gibt es neben den sechs Stellen auch noch eine weitergehende positive Bilanz. Die Kontakte sind geknüpft und bleiben weiter bestehen. So werden wir frühzeitig für das Jahr 2013 planen und gemeinsam nach weiteren Beschäftigungsmöglichkeiten suchen. Und nicht zuletzt konnten sich die interessierten Anwohner_innen direkt beteiligen und gehört werden. Sie sind während des Prozesses zu Handelnden geworden, es wurde nicht anonym über ihre Köpfe hinweg entschieden. Reichhaltigere Ergebnisse würden das Engagement allerdings sicher am meisten fördern.

Wohnen im Kosmos-Viertel bedeutet für unsere Adressat_innen meist die buchstäblich letzte Möglichkeit, bezahlbaren Wohnraum innerhalb der Grenzen Berlins zu finden. Während stadtweit eine weitgehend ungebremste Aufwertung und Verteuerung von Wohnraum stattfindet, werden einkommensschwache und arme Menschen in die äußersten Wohnlagen an den Stadträndern verdrängt. Eines dieser abgelegenen Wohngebiete mit einheitlich einkommensschwacher Mieterstruktur ist das Kosmos-Viertel in Altglienicke, umgeben von schönen Eigentumswohnungen. Die Anwohner_innen nennen es “das Ghetto”. Einige haben eine Wanderung durch mehrere Bezirke hinter sich, immer dem bezahlbaren Wohnraum folgend. Das Kosmos-Viertel ist eine Endstation.
Von oben betrachtet, dehnt sich auf der einen Seite der boomende Wissenschaftsstandort Adlershof immer weiter aus, auf einer anderen wird immer noch am neuen Großflughafen gebaut. Sollten auch im Kosmos-Viertel die Mieten steigen, wie es absehbar ist, gäbe es im großen Bezirk Treptow-Köpenick nach Aussage von Kommunalpolitikern keinerlei Ersatz-Wohnraum mehr. Den Betroffenen bliebe nur übrig, in das Land Brandenburg zu ziehen.
Einige, vor allem junge Menschen, waren bereits dazu gezwungen. Die AG Arbeit/Wohnen wird die Situation weiter beobachten und bei Bedarf thematisieren. Ziel ist es, bedrohliche Entwicklungen möglichst frühzeitig zu erkennen, zu veröffentlichen und Hilfsangebote zu vernetzen. Im Rahmen der AG Arbeit/Wohnen hat der Internationale Bund angeboten, direkt vor Ort ein Beratungsangebot für Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen anzubieten. Dieses soll auf einem “Frühlingsfest zwischen den Kugeln” am 15. 06. 2012 vorgestellt und damit gestartet werden! Auf diesem Fest wollen wir auch Anwohner_innen zu ihren Wünschen und ihrer Zufriedenheit bezüglich ihrer aktuellen Wohnsituation befragen.

2. Öffentlicher Raum/Grünfläche
Für Menschen ohne Arbeit, Beschäftigung und Geld bekommt das Wohnumfeld eine ganz besondere Bedeutung, da sich der größte Teil ihres Lebens gezwungenermaßen eben dort abspielt.
Die Grünfläche an der Kugel, also dem einzigen und stark frequentierten öffentlichen Treffpunkt im Viertel, galt lange Zeit als vernachlässigt und gab dem Gebiet zumindest keine positive Ausstrahlung. Vor einigen Jahren hatten Anwohner bereits mit Unterstützung von M.A.N.N.E.F. die Initiative ergriffen und die Sitzbänke aufwendig in Schuss gebracht. Dann passierte wieder lange nichts, die Bänke sehen heute wieder marode aus
Die Anwohner_innen beteiligen sich auch diesmal lebhaft an den Planungen und packen beispielsweise schon mal stundenlang Wegbegrenzungssteine auf Fahrzeuge des Grünflächenamtes, schütten Muttererde auf oder fachsimpeln über mögliche Pflanzungen.. Enge Grenzen sind natürlich durch die örtlichen Rahmenbedingungen (nicht alles Gewollte ist vor Ort auch sinnvoll) und die gesetzlichen und sonstige Vorschriften gesetzt. Die Aktionen zur Verbesserung des Wohnumfeldes entstehen aus der AG Öffentlicher Raum/ Grünfläche heraus, in der sich neben den Anwohner_innen vor allem das angrenzende Seniorenheim (Union-Hilfswerk, mit eigener angrenzender Grünfläche) und das Grünflächenamt engagieren. Die maroden Sitzbänke werden nach und nach gegen neue ausgetauscht. Nachbarschaftliche Beziehungen werden gestärkt oder entstehen dabei. Die Anwohner_innen sind auch hier die Handelnden (im doppelten Sinne) und bestimmen über ihren öffentlichen Raum mit.

3. Konsum am Kugeltreff
Die Grünfläche an der Kugel ist der gewissermaßen natürliche Treffpunkt der einkommensschwächeren Anwohner_innen, die aus finanziellen Gründen weder “in die Stadt” fahren noch die örtlichen Gaststätten nutzen können. Für Bezieher_innen von Hartz IV sind selbst günstige Lokale noch zu teuer, da jeder Cent für den Grundbedarf ausgegeben werden muss und das Einkommen selbst dafür meist nicht wirklich reicht. Wer auf soziale Kontakte trotzdem nicht vollkommen verzichten will, ist auf solche kostenlosen Treffpunkte angewiesen. Wird dort, im öffentlichen Raum, allerdings auch Alkohol konsumiert, wie dies in jeder Gaststätte und auch jedem gehobenen Restaurant üblich ist, entsteht meist sofort ein negatives Bild. Die Folge ist eine Stigmatisierung aller, die sich aus unterschiedlichsten Gründen an solchen Orten aufhalten müssen oder wollen. Die soziale Ausgrenzung und Abwertung, die arbeitslose Menschen in der Öffentlichkeit fast täglich erleben müssen, setzt sich so bis in das direkte Wohnumfeld fort. In vielen Gesprächen mit Anwohnern, Anliegern und “Entscheidern” (Politik und Verwaltung) arbeiten wir solchen pauschalen Bildern entgegen. Öffentlicher Alkohol- oder sonstiger Suchtmittelkonsum ist fast immer auch ein Zeichen für ungelöste soziale Problematiken. Die Entscheidung erwachsener Menschen, Alkohol im öffentlichen Raum zu konsumieren, ist häufig keine freie Entscheidung. Wer kein Geld hat, muss oft Treffpunkte im öffentlichen Raum besuchen, um nicht zu Hause allein zu sein.
Den Menschen, die tatsächlich eine Konsumproblematik haben und Hilfe benötigen, wollen wir angemessene und niedrigschwellige Hilfsangebote machen, die für sie leicht erreichbar sind.
Aus der AG “Konsum am Kugeltreff” ist durch das Engagement des CSO (Creative Selbsthilfe Oase) e.V. in Zusammenarbeit mit Anwohner_innen ein solches Angebot entstanden, das eine professionelle, lokale und bedarfsgerecht umfassende Versorgung von Konsum- und Suchtproblematiken sicherstellt. So hat der Kiez Klub Alt-Glienicke, eine Seniorenfreizeitstätte, dem CSO einen Raum für wöchentliche Konsumsprechstunden zur Verfügung gestellt. Das Beratungsangebot in Laufnähe wird ergänzt durch eine weitere Mitarbeiterin der CSO, die parallel dazu direkt an der Kugel als Ansprechpartnerin für unverbindliche Kontaktaufnahme zur Verfügung steht. Auf häufig vorhandene persönliche Hemmschwellen wird damit eingegangen. Zum Klinikum Hedwigshöhe in Grünau, der nahe gelegenen Adresse für klinische Suchtbehandlungen in dieser Region, hat die CSO gute Kontakte. Zusätzlich bietet die Suchtberatung JSW in Köpenick einen jederzeit niedrigschwelligen Zugang zu ihren Angeboten. Ein konstanter und unterstützender Kontakt besteht ebenfalls zum Suchthilfekoordinator von Treptow-Köpenick, Herrn Nätke. Somit konnten durch intensive Kommunikation, Vernetzung und das Engagement aller Beteiligten bedarfsgerechte und der Lebenswelt angepasste Versorgungsstrukturen entstehen, die dauerhaft dazu beitragen können, die Lebenssituation der Anwohner_innen zu verbessern.

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