Suchttheorien bzw. Erklärungsansätze der Suchtentstehung
Es gibt keine umfassende Theorie, welche die Entstehung von Sucht erklären kann. Es gibt eine Vielzahl von Erklärungsansätzen, die mehr oder weniger brauchbare Aspekte zur Suchtentstehung beitragen können.
Das sog. Drogenkarrieremodell versucht eine Verknüpfung der brauchbaren Aspekte der verschiedenen Ansätze.
Drogenkarrieremodell
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Der psychoanalytische Ansatz mit sozialpsychologischer Erweiterung
  • Grundstein für Abhängigkeit wird im frühkindlichen Beziehungsgefüge zwischen Kleinkind und Eltern gelegt.
  • z.B. Vernachlässigung des Kindes in der oralen Phase der Persönlichkeitsentwicklung führt zur halluzinierten Befriedigungsversuchen.
  • Rückgriff auf Ersatzbefriedigung wird somit zu Modellverhalten für spätere Konfliktlösungen.
  • Zur Abhängigkeitsentwicklung können dann spätere Konfliktphasen führen (z.B. Pubertätskrise).
  • Den Prozess nennt man in der Psychoanalyse Regression.
  • Drogenkonsum wird zur Kompensation von Beziehungsdefiziten gesehen.
  • Drogenkonsum wird als ambivalentes Verhalten zwischen den Polen der (Ersatz)Befriedigung und Autoaggression interpretiert.
  • Da der Konsum jedoch nicht in der Lage ist die eigentlich gewünschte Beziehung zu ersetzen wird es notwendig, die aus dieser Enttäuschung erwachsene Unlust durch wiederholten Konsum zu kompensieren.

Psychoanalytischer Ansatz – sozialpsychologische Erweiterung

Diese Erweiterung des Ansatzes verweist auf die nahezu kollektive Dimension, die der pathologische Narzissmus (Unfähigkeit zu gefühlsgetragenen Beziehungen, Selbstbezogenheit und Größengefühle) in unserer Gesellschaft einnimmt. Insofern kann von einer Gesellschaft von Süchtigen gesprochen werden, welche ihre Defizite, abhängig von sozialen Faktoren (z.B. Schichtzugehörigkeit, soziale Zusammenhänge, berufliche Identität), lediglich in unterschiedlicher Art und Weise kompensiert (z.B. gesellschftl. toleriertes Alkohol- und Aggressionsverhalten, Spielleidenschaft, Konsumrausch etc.) Drogengebrauch und -abhängigkeit übernimmt Sündenbockfunktion für allen Abhängigkeitsformen gleichermaßen zugrundeliegender Problematik

Sozialpsychologische Aspekte

  • Es gibt kollektiv-psychologische Grundbedürfnisse und universelle gruppendynamische Mechanismen.
  • Bei Verfügbarkeit von Drogen und aufgrund des allgemein menschlichen Bedürfnisses nach Bindung (insbesondere des jugendlichem Bedürfn. Nach Einbindung in altersgem. Bezugsgruppen, entwickeln manche sich mit eigenständigen Normen in Richtung Drogen-Subkultur.
  • Bewertet eine solche Drogensubkultur den Drogenkonsum positiv, kann sich ein Mitglied dem normativen Gruppendruck nur schwer entziehen.
  • Die Wahrscheinlichkeit des Mitmachens steigt

Desweiteren erklärt der Ansatz die soziale Ächtung solcher abweichenden Subkulturen:

  • Jeder Mensch hat mehr oder weniger intensive suchtorientierte Bedürfnisse, die durch Zuschreibung oder Projektion auf sich eignende, gesellschaftlich verpönte Menschen und Gruppen abgewehrt werden.
  • Diese werden dann anstelle eigener, abgewehrten Antriebe verfolgt und bestraft (Sündenbockfunktion).
  • Damit erfolgt auch die Verbannung eigentlicher gesellschaftlicher Missstände aus dem Bewusstsein.
  • Die Doppelmoral des Kapitalismus findet individuelle verinnerlicht ihren Niederschlag, legitimiert kollektive Aggressionen der Mehrheit, die diese ohne Schuldgefühl an den Sündenböcken agieren kann.
  • Gesellschaftlich werden Feindbilder bzw. Exklaven für „Sozialschädlinge“ geschaffen.
    Den Ausgegrenzten wird nur um den Preis des Widerrufs ihres Lebensstils die Wiedereingliederung angeboten.
  • Alternative Lebensstile einfach zu tolerieren ist deshalb schwer, weil bei deren Präsenz die eigenen mühselig aufrechterhaltenen Abwehrstrukturen versagen könnten.

Etikettierungsansatz (Labeling Approach)

  • Der Ansatz analysiert die gesellschaftlichen Zuschreibungsprozesse, die jemanden in die Drogenabhängigkeit „pushen“,bzw. jemanden in dieser stabilisieren:
  • Illegal Drogenkonsumierende lehnen häufig allgemein gültige gesellschaftliche Normen ab (Arbeit, Ordnung, Sicherheit etc.)
  • Wenn das soziale Umfeld darauf reagiert, kommt es zu „Etikettierungen“ wie z.B.:“kriminell“, „arbeitsscheu“, „krank“, „verwahrlost“ etc.
  • In einem mehr oder weniger langem Zuschreibungsprozess kommt es bei den Betroffenen zur zunehmenden Annahme der Fremddefinition.
  • Mit den angehefteten Etiketten wird ein zunehmendes Maß an sozialer Kontrolle wirksam.
  • Es werden den Betroffenen weitere Attribute der Abweichung zugeschrieben.
  • Es kommt zur völligen Annahme der Fremddefinition als „Abweichler“, der Delinquent verhält sich im Sinne der Zuschreibungen (Erfüllung der „Self-fullfilling Prophecy)

Transmitter- und Neurotransmittersystem

einige Aspekte dazu:
Wie die Gesamtheit aller Transmitter und Neurotransmitter im Gehirn und in den Nervenbahnen zusammenwirken, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Unstrittig ist jedoch, daß sie nahezu alle auf den Menschen einwirkende Reize in entscheidender Verantwortung mitverarbeiten. So werden etwa ohne Norepinephedrin Schmerzen und Angst nicht mehr ausreichend körperregulierend verarbeitet. Fehlendes Serotonin führt zur Störung der Schlaf- und Appetitregulierung. Endorphinmangel hat eine gestörte Lustempfindung und Streßbewältigung zur Folge.
Eine ausbleibende körperliche Verarbeitung der Reize führt dazu, daß diese „voll zur Wirkung kommen“ und „ungeregelt auf die Psyche schlagen“, welche dann völlig überfordert nach „Fluchtwegen“ sucht. Diese Suche findet häufig in für das unmittelbare soziale Umfeld völlig unverständlichen Verhaltensweisen seinen Ausdruck. Die Erscheinungen sind teilweise mit denen des körperlichen Entzuges – eher noch mit psychischen Störungen – durchaus vergleichbar. Sie halten in der Regel so lange an, bis die körpereigene Produktion dieser Transmitter oder deren Freisetzungsprozesse wieder ausgewogen funktionieren und eine bedarfsgerechte Versorgung gewährleistet ist. In dem Moment, wo die körpereigene Produktion dieser Stoffe wieder störungsfrei funktioniert, verschwinden vielfach auch die beobachteten negativen Symptome.
Damit Transmitter und Neurotransmitter störungsfrei arbeiten können, ist es unerläßlich, daß sie in ausgewogener Menge zur Verfügung stehen, ausreichend in den Depots vorhanden sind und deren Ausschüttung bedarfsgerecht stattfindet. Komponenten können durch den Konsum diverser körperfremder Stoffe negativ beeinträchtigt werden und nachhaltige Fehlsteuerungen zur Folge haben, die sich vorwiegend negativ auf das psychische Wohlbefinden auswirken.

Suchtpotential von Designer-Drogen

einige Aspekte dazu:
Grundsätzlich stellt sich auch bei allen Designer-Drogen die Frage nach dem Suchtpotential. Dabei muß berücksichtigt werden, daß man als Konsument nie weiß, wie rein ein illegaler Suchtstoff ist bzw. welche Wirkstoffe er neben dem gekauften noch enthält. So ist es aufgrund der Produktionsbedingungen sehr wahrscheinlich, daß eine Ecstasy-Pille, ein Speedkristall oder eine Fenta-nylampulle diverse produktionsbedingte Nebenprodukte oder Streckmittel enthält, die auf Stoffwechselfunktionen störend einwirken können. Also muß auch bei Stoffen, denen zunächst kein körperliches Suchtpotential zugeschrieben wird, mit einem gewissen Restrisiko gerechnet werden. Vor allem produktionsbedingte Abfallstoffe, wie etwa hochtoxische Zyanide, leisten ihren Beitrag zum körperlichen Verfall und können in anderen Fällen auch körperlich abhängig machen. KonsumentenInnen und Mitarbei-terInnen der Drogenhilfe berichten immer wieder, daß Menschen, die regelmäßig synthetische Drogen konsumieren, häufig mehrere Stoffe miteinander mischen. Dadurch verstärkt sich nicht nur die Wirkung, sondern auch das Konsum- und Suchtrisiko für die Konsumenten um ein Vielfaches. So vermitteln DrogenberaterInnen seit einigen Jahren zunehmend Abhängige von synthetischen Drogen in klinische Entzüge und anschließend in stationäre Drogentherapieeinrichtungen. Durch Urinuntersuchungen wird dabei in aller Regel der Mehrfachkonsum (Polytoxi-komanie) verschiedener Stoffe manifestiert. Dieser Mischkonsum ist aus dem Kreis der heroinabhängigen Menschen seit mehreren Jahren bekannt. Gerade bei hochwirksamen Produkten aus der Palette der Designer-Drogen bringt der Mischkonsum nochmals potenzierte Risiken der Überdosierung und auch der Herausbildung abhängiger Konsummuster.
Auch nach beendetem Entzug und abgeschlossener Therapie ist der Wunsch nach den, oft als überwältigend erlebten, Drogenwirkungen (den „Kicks“) nicht immer vollends rational kontrollierbar. Auch bei massiver Anregung können diese, vorher „künstlich geschaffenen Gefühle“, nicht reproduziert werden. Die intensiven Scheinwelten der Rauschdrogen können letztlich sogar die Stoffe selbst nur unter ständiger Höherdosierung fortlaufend reproduzieren. Darin ist eine Ursache für den Trend zur künstlichen Produktion zu sehen. Wo halbsynthetische Produkte wie Heroin keine positiven Wirkungen mehr haben, hilft die Chemie auf der Suche nach noch potenteren Wirkstoffen mit noch längerer Wirkdauer.
Die Notwendigkeit, in diese Scheinwelten flüchten zu müssen, hängt ganz entscheidend davon ab, wie weit psychische Abhängigkeiten ausgeprägt bzw. überwunden oder nicht überwunden sind. Die im wesentlichen daraus resultierende „psychische Abhängigkeit“ ist das zentrale Problem der gesamten Suchthilfe. Ohne sie würde es ein „Suchtproblem“ kaum geben. Mit den Designer-Drogen ist diese Problematik noch um einige Varianten erweitert worden, denn psychische Abhängigkeiten können, ausnahmslos auch auf alle Designer-Drogen bezogen, entstehen. Die Tatsache, daß sie wesentlich aggressivere Wirkungspotentiale entfalten und – allem Anschein nach – auch die wenig erforschten Transmitter- und Neurotransmittersysteme beeinträchtigen, mag hier noch besonders problematisierend hinzukommen. Besonders wichtig scheint hier die Fage, ob diese Beeinträchtigungen nur vorübergehend auftreten oder ob die Produktions- und Lagerstätten der Transmitter etwa dauerhaft und irreparabel geschädigt werden. Bis dahin kann man also der These folgen, daß alle Designer-Drogen, die in irgendeiner Weise die „körpereigene Drogenproduktion“ beeinflussen bzw. stören, auch in die körperliche Abhängigkeit führen können. Dies wird bezogen auf LSD, Hasch, Ecstasy und Kokain von Fachleuten weitgehend bestritten. So wurde die These aufgestellt, der Konsum dieser Stoffe führe nicht zu einer anhaltenden Beeinträchtigung körperlicher Stoffwechselfunktionen (wie oben beschrieben) und würde dementsprechend auch nicht zwangsläufig in einer körperlichen Abhängigkeit münden. Für Haschisch, Kokain und LSD scheinen diese Aussagen relativ weit abgesichert zu sein. Wie es sich mit Speed oder Ecstasy verhält, werden künftige Untersuchungen zeigen müssen.

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