Bei der Aufarbeitung der Ausschreitungen in der Berliner Silvesternacht verfallen einige an der Diskussion Beteiligte wieder in alte Erklärungsmuster. So konzentrieren sich unter anderem die Berliner CDU oder weitere Stimmen aus der Union auf Ursachenforschung in den Migrationsbiografien der Tatverdächtigen – genauer gesagt auf ihre Vornamen. Hinter diesen Erklärungsversuchen steckt unterschwelliger Rassismus. Er findet sich gerade in Bezug auf die Diskussion zum Doppelpass, in Aussagen, wie dem „Verramschen der deutschen Staatsbürgerschaft“ (Alexander Dobrindt), wieder und spiegelt sich in einer Entwertung des Staatsbürgerrechts, wenn diskriminierend von „Pass-Deutschen“ geredet wird.
Was sind die bisherigen Regelungen zum Doppelpass? Was möchte die Bundesregierung ändern? Auf diese und andere Fragen will ich im Folgenden ein paar Antworten aufzeigen.

Was ist die Ausgangslange?

  • In Deutschland leben ungefähr 10,5 Millionen Menschen, die nicht deutsche Staatsbürger:innen sind. Von diesen über 10 Mio. lebt ca. die Hälfte seit mehr als 10 Jahren in Deutschland und würde daher zumindest aufgrund der Aufenthaltszeit eine Bedingung für die Einbürgerung erfüllen. Trotzdem hat im Jahr 2021 nur kleiner Teil (nämlich 2,5 %) aus diesem Personenkreis die deutsche Staatsbürgerschaft überhaupt beantragt.
  • Deutschland steht damit im EU-weiten Vergleich bei den Einbürgerungszahlen auf den hinteren Plätzen.
  • Das will die Bundesregierung nun mit einer großen Reform in der Migrations- und Integrationspolitik ändern. Im Koalitionsvertrag wurde 2021 festgehalten, dass ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht in Deutschland eingeführt werden soll. Dies soll einen Anstieg der Einbürgerungen bewirken.

Welche Gesetze zum Doppelpass gelten zurzeit?

  • In Deutschland ist die doppelte Staatsbürgerschaft bisher eine Ausnahme. Laut Mikrozensus 2021 leben in Deutschland ca. 2,9 Millionen Doppelstaatler, was in etwa 3,5 Prozent der Bevölkerung entspricht. Die meisten Doppelstaatler stammen aus Polen, Russland und der Türkei.
  • Wer hatte bis jetzt Anspruch auf die doppelte Staatsbürgerschaft?
    • Antragsteller, deren Herkunftsland die alte Staatsbürgerschaft nicht zurücknimmt (z. B. Iran, Afghanistan, Marokko),
    • Kinder von Eltern mit deutscher und anderer Staatsbürgerschaft,
    • Flüchtlinge, z.B. wenn ihnen im Heimatland Verfolgung droht,
    • eingewanderte israelische Staatsbürger:innen,
    • Bürger:innen der EU und der Schweiz.

Warum sind die Einbürgerungszahlen in Deutschland überhaupt so niedrig?

  1. Die Beantragung der deutschen Staatsbürgerschaft dauert sehr lange. In Berlin müssen Antragsteller:innen damit rechnen, dass die Wartezeit bis zur Einbürgerung (abhängig vom zuständigen Bürgeramt) zwischen sechs Monaten und 1 ½ Jahren beträgt.
  2. Die Beantragung ist sehr aufwendig. Es werden viele Nachweise verlangt. Die Beschaffung der nötigen Papiere ist für Antragstellende sehr kompliziert und mit hohem Aufwand verbunden.
  3. Personen, die nicht aus einem EU-Staat stammen und sich einbürgern lassen wollen, müssen ihre bisherige Staatsbürgerschaft aufgeben.

Was will die Bundesregierung in Bezug auf die Einbürgerung ändern?

  • Die Anforderungen an den Spracherwerb sollen herabgesetzt werden:
    • Von dieser Erleichterung sollen vor allem die Angehörigen der sogenannten Gastarbeiter:innengeneration So plant die Regierung, dass bei Personen, die älter als 67 Jahre alt sind, der Sprachnachweis erleichtert sowie der Einbürgerungstest wegfallen wird. Der Grund dafür ist, dass die Generation der Gastarbeiter:innen die deutsche Sprache nur schwer lernen konnten, da es für sie keine Sprach- oder Integrationskurse gab und dieser Nachteil nun ausgeglichen werden soll.
    • Auch bei jüngeren Personen sollen mit der Einführung einer Härtefallregelung bezüglich des Nachweises des Spracherwerbs die Voraussetzungen erleichtert werden. So sollen für jüngere Menschen, die zum Beispiel Familienangehörige pflegen, die Anforderungen beim Spracherwerb heruntergeschraubt werden. Dann würde es ausreichen, wenn die betreffende Person sich ohne nennenswerte Probleme im Alltag in deutscher Sprache mündlich verständigen kann.
  • Die Mindestaufenthaltszeit soll herabgesetzt werden:
    • Bislang müssen Antragstellende vor ihrer Einbürgerung mindestens acht Jahre in Deutschland leben, um die Mindestaufenthaltszeit zu erfüllen. Diese Mindestaufenthaltsdauerzeit soll nach dem vorliegenden Gesetzentwurf auf fünf Jahre reduziert
    • Für Personen, die besondere Integrationsanstrengungen unternommen haben, zum Beispiel durch außergewöhnliche schulische oder berufliche Leistungen, ehrenamtliches Engagement oder besonders gute Sprachkenntnisse, soll die Frist für den Mindestaufenthalt sogar auf drei Jahre verkürzt
  • Die Optionspflicht soll abgeschafft werden:
    • Seit einer Änderung im Staatsangehörigkeitsrecht im Jahr 2000 bekommen Kinder ausländischer Eltern unter bestimmten Voraussetzungen durch Geburt in Deutschland neben der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern auch die deutsche Staatsangehörigkeit.
    • Bis 2014 musste sich diese Kinder ab dem Erreichen der Volljährigkeit bis zu ihrem 23. Geburtstag für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden. Seit einer nochmaligen Änderung der Optionsregelung im Jahr 2014 können in Deutschland aufgewachsene Kinder beide Staatsangehörigkeiten behalten, und „nur“ noch Kinder, die nicht in Deutschland aufwachsen sind bzw. hier einen Teil ihrer Schulbildung absolviert haben, müssen sich bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres entweder für die deutsche oder die elterliche Staatsangehörigkeit entscheiden.
    • In Zukunft sollen in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen, wenn ein Elternteil seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig hier lebt.

Was sind die Pläne zum Doppelpass der Bundesregierung?

  • Die doppelte Staatsbürgerschaft die „Mehrfachstaatsangehörigkeit“ soll für alle Antragstellenden eingeführt werden. Dann müssten Personen, die sich einbürgern lassen wollen, grundsätzlich nicht mehr die Staatsangehörigkeit ihres Herkunftslandes bzw. die des Herkunftslandes ihrer Eltern aufgeben.

Gibt es Argumente gegen die doppelte Staatsbürgerschaft?

  • Die doppelte Staatsbürgerschaft ist nicht unumstritten. Als Gründe, die dagegensprechen, werden u. a. angeführt, dass das damit einhergehende doppelte Wahlrecht „ungerecht“ sei, dass die Integration behindert würde, wenn sich Doppelstaatler:innen nicht ganz mit dem Einwanderungsland identifizierten, dass Loyalitätskonflikte entstehen könnten.
  • Die Gegenargumente haben sich durch empirische Forschungen bisher nicht bestätigt.

Welche Gründe sprechen für die doppelte Staatsbürgerschaft?

  1. Anerkennung der Herkunftskultur und der bestehenden (multi-)kulturellen Identität:
    Warum sollte es nicht möglich sein, in zwei Ländern oder Kulturen zu leben? Vor allem, wenn dies für EU-Bürger:innen mit Doppelpass bereits möglich ist und ihre Integration in ihre Loyalität und Verbundenheit zu Deutschland nicht angezweifelt wird.
  2. Wahlrecht und gesellschaftliche Teilhabe:
    Bisher dürfen nur EU-Bürger:innen bei Kommunal- und EU-Parlamentswahlen ihre Stimme abgeben.
  3. Erbrecht (v. a. in Bezug auf die Türkei): Denn ohne türkischen Pass ist es schwieriger, in der Türkei Besitz zu haben oder zu erben.

Wie ist der Umsetzungsstand?

  • Ende November wurde ein Referent:innenentwurf aus dem Bundesinnenministerium bekannt, in dem die zuvor im Koalitionsvertrag genannten Ziele erstmalig ausformuliert wurden.
  • Nachdem sich im Dezember 2022 bereits Unionspolitiker:innen und andere über das „Verramschen der deutschen Staatsbürgerschaft“ echauffiert hatten, wurde der Entwurf am 06.01.2023 an die anderen Ressorts der Bundesregierung zur Abstimmung zugeleitet.
  • Mit dem fertigen Gesetzentwurf ist im Frühjahr 2023 zu rechnen. Sollte das Bundeskabinett dem Gesetzentwurf zustimmen, kann sich der Bundestag damit befassen.
  • Es ist geplant, dass das Gesetz noch vor der Sommerpause in Kraft tritt.

Mit der Reform der Migrations- und Integrationspolitik vollzieht die Bundesregierung einen überfalligen Schritt. Einmal wird das deutsche Einbürgerungsrecht an das Recht anderer europäischer Länder angeglichen und zum anderen wird die gesellschaftliche Diversität des heutigen Deutschlands politisch anerkannt.

 

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